18 Familien, 180 Personen, Ortswechsel

Fernab der grossen, weiten, zuweilen so lauten Welt haben Familien in beängstigender Weise erlebt, dass mit dem Klima irgendetwas nicht mehr so ist wie einst. Die Schneegrenze verschob sich markant, aufs ordentlicherweise einsetzende Tauwetter und das fürs Bewässern der Felder notwendige Wasser konnte man sich nicht mehr verlassen. Plötzlich war es mit dem gewohnten, bewährten Lebensrhythmus, der seit ganz vielen Jahrhunderten Bestand hatte, unwiderruflich vorbei. Was tun?



(Bilder: pmeier)
(Bilder: pmeier)

Mit bewegenden Worten, spürbarer innerer Anteilnahme, sympathischem und beeindruckendem Engagement berichtete der Fotograf Manuel Bauer im Gartenflügel Ziegelbrücke über Begegnungen, Freundschaften, Dorfkultur, gemeinsames Helfen und Mittragen, politische Fakten, einsetzende Technisierung, Lamas, Wissensvermittlung in neu aufgebauten Schulen, beschwerliche und zuweilen gefährliche Wege, Tourismus und nachhaltige Aufbauarbeit im fernen kleinen Königreich Mustang, das Teil von Nepal ist, das sich der tibetischen Kultur verpflichtet weiss und diese Traditionen und Glaubensformen pflegt und lebt.

Wie Manuel Bauer nach Mustang gelangt ist, was ihn so nachhaltig zum Bleiben und Helfen veranlasst hat, stand am Anfang des stark besuchten Vortrages samt gewaltiger landschaftlichen Schönheit und Personen, die beeindruckten. Man muss wissen, dass Manuel Bauer den Dalai Lama lange und auf zahlreichen Reisen begleitete, vieles fotografisch festhielt und im Jahre 2008 in Mustang weilte, nicht zuletzt wegen Robert Jennys Einladung und dessen Engagement in Nepal, dies einst im Auftrag des DEZA, das damals noch ganz anders hiess. Von Manuel Bauers damaliger Anwesenheit erfuhren drei Männer, Buddhisten tibetischer Abstammung. Sie suchten ihn auf, trugen ihm ihre existenzbedrohenden Sorgen vor. Sie berichteten über ausgetrocknete Quellen, beinahe unmöglich gewordene Selbstversorgung und ihre Angst um die Zukunft. Bekannt war, dass der König von Mustang diesen Leuten Landersatz zugsichert hatte, drei Wegstunden entfernt, auf 3800 Metern Höhe, von teilweise übermannshohen Gesteinsbrocken übersät, auf den ersten Blick kaum brauchbar. Die Familien aus Sam Dzong nahmen dieses Angebot an; in Städten wollten sie sich nicht niederlassen.

Mustang hat eine bewegende politische Geschichte zum Inhalt, war einst Tor einer bedeutenden Handelsroute (vor allem Salzhandel), war Rückzugsgebiet für jene robusten Widerstandskämpfer, die sich gegen den Einmarsch der Chinesen in Tibet nachhaltig zur Wehr setzten, vielen Bergbewohnern Lebensraum bot, Teil des Tourismus ist. Hier durchbricht der Fluss Gali Kandaki die Himalajakette mit den Achttausendern Dhaulagiri und Anapurna. Es sei die tiefste Schlucht der Welt. Nur schon die Anreise samt Landung, das erste Kennenlernen, der Schutz gegen Sonne, Sand und stürmische Winde, Wegverhältnisse, das Begegnen mit der Bevölkerung, den vom Weiden selbstständig heimkehrenden Tieren waren ein herrliches Hinführen zu unendlich vielen Informationen.

Manuel Bauer (*1966, in Winterthur wohnhaft) entschied sich fürs nachhaltige, jahrelange Unterstützen beim Neuaufbau und dem Umzug von Sam Dzong, nicht als euphorisch gestimmter, leicht weltfremder Fantast, sondern als besonnener Begleiter, der mit Lama Ngawang, Einheimischen und dem Beizug weniger Fachleute den Umzug der Dorfgemeinschaft und das Anlegen neuer Felder behutsam in die Wege zu leiten wusste. Die erforderlichen Gelder beschaffte Bauer mit Vorträgen in der eigenen «Urheimat» samt Erläutern seiner Arbeit, der Präsenz in Mustang und dem Zusammengehen mit der dort lebenden Bevölkerung.

Aus seinen Äusserungen spürte man die hohe Achtung, die er diesen Leuten zollt. Sie entscheiden vieles in langen, leidenschaftlichen Gesprächen. Sie leben ihren Glauben, der so viel Wertschätzung und Innigkeit in sich birgt. Sie sind zäh, unbeirrbar, kraftvoll, geduldig, wissbegierig. Sie planen und handeln sehr demokratisch, sich Neuem nicht verschliessend. Bauer bedauerte zuweilen, wie rücksichtslos neue Verbindungswege erstellt werden, Tourismus und schreiende Werbung überhand nehmen, neue Technologien nicht mehr wegzudenken sind, Abfallentsorgung zum ernsten Thema wird; wie gleichzeitig übers zweckmässige Beheizen, Hochwasserschutz, neue Bewässerungskanäle Trinkwasserversorgung und Behausungen für Tiere entschieden werden muss. Das Einbringen der ersten Ernte nach acht Jahren Aufbauarbeit samt Umzug hat ihn und die Bewohner gleichermassen bewegt. Es wurde gezeigt, wie geerntet und verwertet wird, wie Schulen geführt sind, wie bedeutsam eine gute Bildung für alle ist, wie tiefgreifend und innig der Buddhismus gelebt wird, wie es im alten Sam Dzong zu und herging, wie erforscht und dokumentiert wird, was demokratisches Miteinander, Toleranz und gegenseitiger Respekt, die Fähigkeit des geduldigen Hinhörens, fundierte Kenntnisse der gelebten Kultur, Wertschätzung bedeuten. Langsam kann das alte Sam Dzong aufgegeben werden, die 18 neuen Häuser sind bezugsbereit, sie wurden unter den Besitzern verlost. Die gebannt Hinhörenden freuten sich spürbar mit, nahmen von neu Erblühendem und dem Einbringen der ersten Ernte am neuen Ort gar mit Beifall Kenntnis.

Manuel Bauer versteht die Bewohner im fernen Mustang, man hat fast das Gefühl, er sei ein Teil von ihnen geworden, nicht einfach der Helfer mit den notwendigen finanziellen Mitteln, der aus der Ferne anordnet und kontrolliert. Das macht das weiterhin notwendige Unterstützen so sympathisch und sinnrichtig. Robert Jenny meinte, dass der Entscheid mit Manuel Bauer nach Mustang zu reisen, riesig gut gewesen sei. Er freue sich bereits auf ein Wiedersehen in der Galerie. Und ganz gewiss werden alle wiederkommen, fasziniert zuhören, so gut als immer möglich mithelfen oder sogar – und darauf wies Manuel Bauer ebenfalls hin – mit ihm zu einem Besuch nach Mustang aufbrechen.