Während am Fusse des Selbsanft die Wiesen noch taufeucht im Schatten liegen, brennt die Sonne oben am Muttsee schon wie in Südfrankreich. Der Helikopter bringt heute nicht nur das ganze Material hoch, weil endlich Flugwetter herrscht, er bringt auch eine Reihe neugieriger Journalistinnen auf die Krone des Damms auf 2500 m ü.M. Hier werden sie von Christoph Sutter, Leiter Division Neue Energien bei Axpo, und den Projektleitern Pascal Semlitsch, von den Industriellen Werken Basel (IWB), sowie Claudius Bösiger, Planeco, empfangen. Am Pionierprojekt forschen ausserdem die Wissenschaftler der technischen Hochschule EPFL und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF). Klar: Denn sie interessieren sich für das Verhalten von Solaranlagen im hochalpinen Raum und begleiten das Projekt über mehrere Jahre.
Winterstrom ist wertvoll
Derzeit ist die Förderung von Solaranlagen in der Schweiz ausgerichtet auf Private oder Firmen, die den Strom selbst verbrauchen. Der Grossteil der Leistung ist unter der Nebelgrenze installiert, der Strom fällt vor allem im Sommer an. Besonders wertvoll aber, insbesondere für den Atomausstieg, ist genügend Winterstrom. Wie gut, dass es Solaranlagen gerne kalt haben – ihr Wirkungsgrad steigt bei tiefen Temperaturen – und über der Nebeldecke beim Muttsee im Winter ihre höchste Leistung bringen. Ein Extraquantum Energie kommt von der Strahlung, welche vom Schnee und von der Betonmauer reflektiert wird. Deshalb sind die Panels beidseitig mit Solarzellen ausgerüstet. Installiert werden hier 300 Tonnen Material, darunter 5000 Solar-Module. Das sind 10000 Quadratmeter, was der Fläche von 1,5 Fussballfeldern entspricht. Auf der Dammkrone steht eine Reihe von Containern, hier wohnen die rund 20 Arbeiter, welche bis zum Oktober möglichst alle Module installieren sollen. In der Muttseehütte SAC, die etwa 10 Gehminuten entfernt ist, werden sie verköstigt – auch das eine wohl einmalige Synergie bei diesem Projekt.
Stromanschluss in den Alpen
Die Staumauer beim Muttsee ist nicht nur optimal auf die Sonne ausgerichtet. Durch die bestehende Infrastruktur des Pumpspeicherwerkes Limmern braucht es auch keinen weiteren Netzausbau – der gewonnene Strom, man rechnet mit 3,3 Gigawattstunden pro Jahr, kann direkt ins Netz eingespeist werden. Einen Abnehmer für diesen Strom haben die Axpo und IWB gefunden: Denner hat als grösster Discounter der Schweiz bereits einen Abnahmevertrag über 20 Jahre unterzeichnet, um so seine Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Christoph Sutter sieht in alpinen Solaranlagen eine Chance. «Die unterschiedlichen Bedingungen im Hochgebirge könnten wir für uns nutzen. PV-Anlagen im Gebirge könnten einen wesentlichen Teil zum Strommix beitragen und somit Importabhängigkeiten in den Wintermonaten verringern.» Allerdings, so Sutter, braucht es dazu auch ein politisches Umdenken. PV-Anlagen im Bereich des Eigenverbrauchs brauchen bald keine zusätzliche Förderung mehr. Wo es dagegen Förderbeiträge weiterhin zwingend braucht, ist im hochalpinen Raum. Sutter setzt sich für marktbasierte Instrumente ein, etwa auktionierte Fördertarife für spezifische Sektoren wie hochalpine PV-Anlagen. Denn diese sind rund 30 Prozent leistungsfähiger als Anlagen im Flachland und sie liefern den Strom dann, wenn er von Wasserkraftwerken weniger produziert werden kann – im Frühling, wo die Stauseen leer, die Sonne aber schon kraftvoll scheint. Doch derzeit werde, so Sutter, die bessere Leistung an vielen Standorten von höheren Installationskosten wieder weggefressen. Würde die Politik die Fördermechanismen jedoch – so wie das Frankreich bereits tut – auf den Markt ausrichten, so könnten eine Reihe von Staumauern, Bahngleisen, Skiliften oder Lawinenverbauungen mit Photovoltaik ausgerüstet werden und die Natur würde dabei nicht weiter in Anspruch genommen.
Energiegesetz
Es ist auch kein Zufall, dass «Städter» aus Basel sich am Muttsee engagieren. Während Glarus sein Energiegesetz am letzten Sonntag auf eigenproduzierten Strom ausgerichtet hat, haben beide Basel bereits in den 1990er-Jahren auf Solarenergie gesetzt. So kommt es, dass die dortigen technischen Betriebe einen Wissensvorsprung haben. Dieses Know-how ist – nach dieser Landsgemeinde – auch im Kanton Glarus hochwillkommen und unsere Berge werden vielleicht dereinst ebenso ein Potenzial wie es jetzt schon unsere Wasserkraft ist.