700 000 Covid-19-Infizierte in Brasilien

Brasilien ächzt unter den Folgen der Corona-Pandemie. Das flächenmässig grösste Land auf dem südamerikanischen Kontinent wurde vom Covid-19-Virus hart getroffen. Mittlerweile gehört Brasilien zu den Ländern mit den meisten Coronavirus-Opfern. Täglich erhöht sich die Zahl der Infizierten und der Toten. Der Exil-Mitlöder Ernst Hinnen wohnt rund 200 Kilometer von der pulsierenden Grossstadt Sao Paulo entfernt und schildert topaktuell und auf eindrückliche Weise, wie er die Corona-Pandemie in Brasilien erlebt und überlebt.



Wie ein Exil Glarner die Corona-Pandemie in Brasilien erlebt (bilder zvg)
Wie ein Exil Glarner die Corona-Pandemie in Brasilien erlebt (bilder zvg)

Bekanntlich verzichtet die brasilianische Regierung seit einigen Tagen auf die Publikation von Zahlen zu allen Coronavirus-Todesfällen und Infektionen auf dem Internet. Das Gesundheitsministerium entfernte auch die Datensammlung, welche die Entwicklung der vergangenen Monate aufzeigte, aus dem Netz. Es werden nur noch Zahlen zu den vergangenen 24 Stunden publik gemacht. Kritiker meinen, dass dies ein Schachzug und Versuch der Bolsonaro-Regierung sei, welche damit das Gesamtausmass der Pandemie zu verschleiern versucht. Zuletzt hatte Brasilien mit seinen 210 Millionen Einwohnern mehr als 672 000 Corona-Infizierte gemeldet. Abgesehen von den USA mehr als jedes andere Land. Die Zahl der Toten steuerte auf 37 000 zu. Die Dunkelziffer dürfte aber noch weit höher liegen. Um noch etwas mehr über die aktuelle Pandemie-Situation in Brasilien zu erfahren, habe ich mit Ernst Hinnen, einen ehemaligen Kameraden der Glarner Feuerwehr-Instruktoren-Vereinigung, per Skype Kontakt aufgenommen und ihn gebeten, uns die aktuelle Corona-Situation in seiner zweiten Wahlheimat Brasilien zu schildern. Ernst Hinnen wohnt heute in der 140 000 Seelen-Kleinstadt Jaú, rund 200 Kilometer von Sao Paulo entfernt. Nachfolgend seine eindrücklichen Schilderungen.

Corona-Massnahmen ähnlich wie in der Schweiz

Die Massnahmen gegen den Covid-19-Virus sind seit Anfang Maerz aktuell. Es wurde eine generelle Maskenpflicht verordnet. Die Restaurants, Imbissplätze und Geschäfte, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind, bleiben geschlossen. Viele Firmen haben ihre Produktion eingestellt. Die Massnahmen der Regierung entsprechen mehrheitlich jenen, die in der Schweiz verordnet wurden Dank diesen verzeichnen wir heute am 8. Juni die ersten kleinen Erfolge, indem die Anzahl der Toten sich auf 50 innerhalb von 24 Stunden reduzierten. Eine flächendeckende Kontrolle gibt es aber in Brasilien nicht. Immerhin wird bei den Leuten vor dem Betreten der Lebensmittelmärkte jeweils das Fieber gemessen.

Situation ausweglos und tragisch

Die Situation ist für viele ausweglos und sehr tragisch. Aufgrund dieser katastrophalen Situation ist auch kein Geld für Benzin und Treibstoff vorhanden. Deswegen bleibt das tägliche Verkehrschaos aus und der Verkehr in der Stadt ist nahezu stillgelegt. Erfreuliche Folgen davon sind weniger Verkehrsunfälle und weniger Verkehrstote. Deshalb sind die Kapazitäten auf den Intensivstationen für schwer erkrankte Corona-Patienten in den Spitälern entsprechend grösser. Für die Massnahen und Kontrollen sind der Governador des Staates und die Gemeindeoberhäupter zuständig. Staatspräsident Jair Bolsonaro hat in diesem Fall hat nichts zu sagen. Er weiss aber, dass in ganz Brasilien die informale Tätigkeit sehr hoch ist. Auswärtige Berichterstatter können das Problem nicht halbwegs realisieren. Die Bevölkerung hilft mit Lebensmittelspenden enorm. Aber wie sieht das in 3 – 4 Monaten aus? Erfahrungswerte zeigen, dass die Motivation zum Helfen mit der Zeit sowieso eher abnimmt.

Jaú ist das Zentrum für Damenschuhe

Hier in Jaú befindet sich das Zentrum für leichte Damenschuhe (Sandalen und Slipper). Wir haben hier ein Shoppingcenter mit mehr als 200 Geschäften nur für den Handel mit Schuhen. Viele Wiederverkäufer machen hier ausgezeichnete Geschäfte. Die Schuhe werden zu 2/3 in kleinen Firmen mit 1 – 5 Angestellten hergestellt. Diese Arbeiter arbeiten hauptsächlich informal. Das heisst, sie sind beim Arbeitsamt nicht registriert. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen keine Sozialbeiträge. Das wären in Brasilien 115% des Lohnes. Die Arbeiter sind also weder versichert, noch haben sie einen Kündigungsschutz. Dies gilt auch für die vielen kleinen Kleidergeschäfte, Imbissplätze usw. Mehr als die Hälfte der armen Bevölkerung ist ohne Arbeit und Einkommen. Da sie auch nicht registriert sind, kommen sie nicht in den Genuss der Sozialleistungen des Staates.

Mir geht es gut und ich bin zufrieden

Für mich ist das weniger tragisch. Wir können uns in Anbetracht der riesigen Probleme zumindest bis zum heutigen Zeitpunkt wahrlich nicht beklagen. Da ich mich mit meinen Hüftschmerzen nicht gut bewegen kann, kommen Spaziergänge nicht infrage. Dafür gehe in normalen Zeiten dreimal pro Woche 50 Minuten schwimmen. Die Akademie ist aber seit der ersten Märzwoche geschlossen. Das heisst, ich bewege mich zu wenig. Die Einkäufe im Supermarkt macht meine Frau. Die gesundheitlichen Auswirkungen im Vergleich mit der Grösse der Stadt Jaú sind nicht grösser als bei euch. Die Lebenssituation für einen sehr grossen Teil der Bevölkerung ist aber sehr tragisch. Diese Situation betrifft aber auch die Ferienregionen zwischen Rio bis ganz in den Norden. Zehntausende von Personen leben vom Handel an den Stränden.