Um die fiktive Gemeinde «Güllen» steht es im Theaterstück «Der Besuch der alten Dame» von Friedrich Dürrenmatt gar nicht gut. Die einstmals blühende Industrie ist am Ende und auch die Gemeindekasse ist leer. Da trifft es sich ausgezeichnet, dass nach über 40 Jahren eine ehemalige Bewohnerin in ihre Heimat zurückkehrt; schliesslich hat sie ein immenses Vermögen im Gepäck. Und wirklich stellt Claire Zachanassian der Gemeinde die Summe von einer Milliarde Franken in Aussicht, dabei die Hälfte für Güllen und der Rest auf die Einwohner aufgeteilt. Sie stellt aber eine klare Forderung: den Tod von Alfred Ill. Ihre ehemalige Jugendliebe hat sie damals schwanger sitzenlassen und verleugnet. Nun will sie Gerechtigkeit. Oder ist es doch nur Rache? Denn dies ist sicher eine Frage, die der Klassiker in den folgenden Situationen immer wieder aufgreift. Aber auch wie lange man Moral und Gesetz aufrechterhalten kann, wenn man ein solch unmoralisches Angebot erhält. Denn natürlich sind alle Einwohner über die Forderung schockiert und jeder weigert sich den Mord auszuführen; sie fangen aber langsam an auf Kredit teure Anschaffungen zu machen. Wohl in der Erwartung, dass jemand anderes der Versuchung erliegen wird. Und ist das Wohl der Allgemeinheit nicht grösser als das Leid eines einzigen?
Das Angebot der alten Dame blickt eindrücklich in menschliche Dilemmata und Abgründe, die seit der Uraufführung 1956 nichts an Bedeutung verloren, hat. Und die Inszenierung des Theater Glarus arbeitet die Aktualität der Thematik mit lokalen Bezügen noch weiter aus. Auch sonst besticht die Inszenierung mit einer feinen Balance zwischen Respekt vor dem grossen Original und einer frischen Herangehensweise. Davon können sich die Gäste ab diesem Samstag am besten selber ein Bild machen. Dann feiert «Der Besuch der alten Dame» vom Theater Glarus Premiere im «Schützenhaus» und wird anschliessend bis am 16. November immer wieder aufgeführt.
