«Andorra» in der Aula Glarus

Mit der Aufführung von «Andorra» gastierte das Theater Zürich in der Aula Glarus. Man wurde mit Beklemmendem, sehr nachdenklich Stimmendem konfrontiert. Das intensive Spiel des Ensembles stiess auf verdient hohe Beachtung. Max Frisch schrieb das Stück, führte damit zum andorranischen Juden und die ihn umgebende Gesellschaft, die so hart zu urteilen und agieren vermag.



Aufführung von «Andorra» vom Theater Zürich in der Aula Glarus. (Bilder: p.meier)
Aufführung von «Andorra» vom Theater Zürich in der Aula Glarus. (Bilder: p.meier)

Es sei vorweggenommen: Der Titel des Stücks hat mit dem Kleinstaat absolut nichts zu tun.
Andorra, so steht es in der Einführung geschrieben, ist der Name für ein Modell, steht für Inhalte, die es so durchaus gab – und heute noch gibt. Es ist das Ausgrenzen missliebiger Mitmenschen, das Hinstellen an den Pranger, das Niederprasseln von Lügen, Halbwahrheiten, das Umsetzen von Entscheiden, die von einer Mehrheit als richtig, korrekt eingestuft werden. Es wachsen Willkür, Verunglimpfen, Verurteilen und Beseitigen in Windeseile. Es sind Spukgespinste, die in irgendwelchen Köpfen gewachsen sind.
Unwillkürlich zieht man Parallelen zu Heutigem in irgendwelchen Teilen unserer Welt, kann den aufkeimenden Vergleichen nicht aus dem Wege gehen. Man erkennt, wie fatal und zerstörerisch so manches sein kann.

Dem andorranischen Juden Andri gelingt es nicht, so zu sein, wie die andern, wie es von der ihn umgebenden Gesellschaft erwartet wird. Er trägt diese Tatsache in sich rum, zuweilen voller Trotz, dann wieder mit dem Willen, sich einzufügen. Dieses Verhalten, von Antonio Ramon Luque facettenreich mit hohem Einfühlungsvermögen ausgespielt, kommt nicht an. Andri möchte Barblin (Mia Lüscher) heiraten, spürt der ambivalentes Verhalten. Er hat sich mit dem Deutungsreichtum eines Arztes, des Paters, des gnadenlos und hinterhältig auftretenden Soldaten, mit seinen Eltern, Besäufnissen, Ungerechtigkeiten und Wertungen seines Lehrmeisters rumzuschlagen. Alles kommt einem unbarmherzigen, garstigen Gewitter gleich.
Nur kurz sind die Momente, die einem vermeintlichen Rauslösen aus diesem Leben als Aussenseiter, Verachteter gleichkommen. Die Verhaltensmuster jener, die über ihn urteilen, sich mit ihm als vermeintlichen Mörder, als Versager in der alltäglichen Arbeit sehen. Sie sind die selbstgefälligen, zuweilen übermächtig starken Andorraner, die eine kaum zu bewältigende hohe Mauer aufbauen, die sich vom Andersdenkenden abgrenzen, kaum den Versuch des Verstehens, sich Annäherns zeigen. Es wird dem gnadenlosen Antisemitismus viel Raum gegeben. Er wird in beklemmender Art geradezu zelebriert. Ausweichen und Wegschauen sind nicht möglich.

Die Darstellerinnen und Darsteller, alle einheitlich weiss gewandet, agieren auf einer eigentlich kahlen Bühne. Dies voller Leidenschaften, wortreich, leidend, rausschreiend, herbeiflehend, vordergründig Gutes herbeiwünschend, listenreich, mit brutaler Offenheit, wissend, dass sie als Mehrheit stark, unbesiegbar sind.
Mittels Einspielungen wird durch die Handlung geführt, es ist ein geschicktes Vermischen von spielerischer Präsenz und medialem Momentum.
Der andorranische Jude Andri wird zum Tode verurteilt, hingerichtet, für ein Vergehen bestraft, das er gar nicht begangen hat. Es zeigt sich irgendwann, dass er in Wirklichkeit ein Findelkind gewesen war – ein Andorraner wie die andern auch. Aber davon will niemand mehr reden.

Es ist ein Zeitstück, eine Fülle von Fakten, wie sie unabhängig von irgendwelchen Epochen manifest werden, zu unwillkommener, lebensbedrohlicher Deutlichkeit wachsen und kaum zum Verschwinden gebracht werden können. Mit immenser Leidenschaft hat das Ensemble des Theaters Zürich die von Frisch vorgegebenen Inhalte zu Lebensformen erweckt, die zu unserer Gesellschaft gehören und es auch bleiben werden.