Anna Göldi auf die Weltkarte setzen

Die 81-jährige Philosophin und Feministin SILVIA FEDERICI hat sich Gedanken gemacht zu Anna Göldi und den vielen Frauen, die heute in zahlreichen Ländern der Erde verfolgt und getötet werden. In einem auf Englisch geführten Gespräch über «Klatsch», «Hexen» und die «Textilindustrie» verrät sie, was die drei Themen verbindet.



Philosophin und Feministin Silvia Federici (Foto: Marta Jara CC-BY-SA)
Philosophin und Feministin Silvia Federici (Foto: Marta Jara CC-BY-SA)

Wie soll erklärt werden, dass Hunderttausende von Frauen über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg in verschiedenen europäischen Ländern vor Gericht gestellt, gefoltert und hingerichtet wurden? Welche Ängste führten zu dieser konzentrierten Genozidpolitik? Warum wurde so viel Gewalt entfesselt? Und warum waren die Hauptopfer Frauen? Diese Fragen stellte sich die feministische Wissenschaftlerin Silvia Federici mit Blick auf die neuzeitlichen Hexenverfolgungen in Europa bereits in den 1970er-Jahren. Eine Antwort darauf fand sie in den 1980er-Jahren in Nigeria. Sie beobachtete wie als Folge eines «Strukturanpassungsprogramms» der Weltbank die von Frauen aufgebauten und betriebenen lokalen Ökonomien in Schwierigkeiten gerieten.
Die Konflikte zwischen den Generationen und Geschlechtern nahmen zu und zugleich auch die Verfolgung von Frauen als Hexen.

Die Parallelen, die Federici nicht nur in Afrika, sondern auch in Papua-Neuguinea, Osttimor und Indien zu den von ihr erforschten Hexenverfolgungen im neuzeitlichen Europa sieht, führt sie auf die Strukturen des globalen Kapitalismus zurück. Kein Zufall sei es, dass deren Aufkommen in Europa mit den Hexenverfolgungen zusammenfalle. Von Anfang an hätten sich Frauen gegen diese Strukturen gewehrt. In ihrem in sieben Sprachen übersetzten Klassiker «Caliban und die Hexe» zeigt Silvia Federici die Verbindung zwischen der historischen Hexenverfolgung und dem im 16. und 17. Jahrhundert aufkommenden Kapitalismus in Europa und stellt Bezüge her zwischen dem Hexenwahn, der Geringschätzung der weltweit von Frauen geleisteten Fürsorge oder Care-Arbeit und den im Kolonialismus errichteten Strukturen wirtschaftlicher Ausbeutung.

Das Anna-Göldi-Museum heisst SILVIA FEDERICI am Montag, 28. August, 19.30 Uhr zusammen mit dem Theater Neumarkt Zürich, Women Writing Architecture und dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur gta ETH Zürich im einstens grössten «Hänggiturm» (Tröckneturm der Textilindustrie) der Schweiz willkommen.

Der Anlass ist Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung Bunte Tücher, geteilte Geschichte – auf den Spuren von König Baumwolle. Die Ausstellung nimmt die verflechtungsgeschichtlichen Bezüge zwischen dem Schicksal der als Hexe verurteilten Care-Arbeiterin Anna Göldi und den sozialen Missständen im Reich von König Baumwolle in den Blick. Nie wurden so viele Menschen für die unbezahlte Arbeit auf den Baumwoll- Plantagen aus Afrika nach Amerika deportiert als 1780, dem Jahr in dem Anna Göldi ihren Dienst als Magd im Hause Tschudi angetreten hat.