Anton will bleiben – Lesung mit Nelio Biedermann

In der stadtglarnerischen Kulturbuchhandlung «Wortreich» an der Abläschstrasse las der zwanzigjährige Nelio Biedermann aus seinem Roman «Anton will bleiben». Es ist ein bemerkenswertes Geschehen, das der Verfasser vorlegt, zum einfühlenden Mitvollziehen jenen mitgibt, die sich mit dem an unheilbarem Krebs erkrankten Anton auf eine enorm wechselvolle Reise begeben. Biedermann setzt sich mit Anton und dessen Schicksal in reifer, umfassender Weise auseinander, lässt jenen Raum, die sich – aus welchen Gründen auch immer – zu Anton gesellen, ihn begleiten, ihn in gewisser Weise verstehen, ihm damit auch helfen wollen. Es ist eine Reise mit vorgegebenem Ende, berührend, zuweilen recht heiter, erhelle, ans Verständnis der Lesegemeinschaft intensiv appellierend.



Bilder von der Lesung mit Nelio Biedermann (Gabriele Pellicciotta)
Bilder von der Lesung mit Nelio Biedermann (Gabriele Pellicciotta)

Anton ist durch seine Art ein faszinierender Mensch, der in kein gängiges Schema passt, sich suchend durch sein Leben bewegt. Er weiss sehr genau um sein Schicksal. Biedermann gewährt unerwartete Einblicke. Sein Buch beginnt mit: «Die Welt ist so, wie wir sie wahrnehmen; für einen Tauben ist sie still, für einen Hund schwarz-weiss und für Anton und mich war sie nun mal beängstigend schnell geworden». Anton lebt allein – mit seiner Diagnose. Seine Anna ist verstorben. Er hat seinen Lebensrhythmus geändert. Es sind – im Tagesablauf regelmässig wiederkehrend – eine Möwe und eine Taube, die ihn besuchen, heimsuchen, ihren Hunger gierig und unerbittlich anmelden. Er füttert sie. Man begleitet Anton durch den Alltag, ist mit ihm beispielsweise in der Bibliothek, wo er sich über Möwen informieren will. Man lernt den behandelnden Arzt kennen. Der im Buch begleitende Freund, Hinhörende, Protokollierende – stets in der «Ich-Form» schildernd – stellt sich als alternder, ehemaliger Gymnasiallehrer vor. Anton lernt man, über viele inhaltsstarke Seiten hinweg, als eigenwillig urteilenden und agierenden Menschen kennen. Er ist pedantisch, leidend, ist Zigarettenraucher, tafelt oft im Celeste, ist dort Stammkunde. Er nimmt einen auf seine vielen Spaziergänge mit, die dahin und dorthin führen. Er lässt einen an nicht selten wirbligen Freundschaften mit Frauen teilhaben.
Es tut sich ein facettenreiches Leben auf. Anton will in der Nachwelt einen festen Platz einnehmen, er will in Erinnerung bleiben – sei es durchs Verfassen von Büchern, des Fotografierens oder Malens. Er beginnt, seinen Tagesablauf zu strukturieren, räumt sich Verpflichtendes samt Füttern der Vögel, Schreiben und Freizeit ein.

Die von grossem Verständnis geprägte Freundschaft zwischen dem Verfasser und Anton zieht sich wie ein roter Faden durch die Fülle der Geschehnisse. Anton trifft Katharina, eine bewegende Beziehung entsteht. Katharina besitzt zwei kleine Papageien namens Don und Juan, ist oft da und dort. Anton hütet ihre nicht eben einfach zu haltenden Exoten, die auch mal wild rumzuscheissen vermögen.
Irgendwann reist Anton nach Labnitz, ans Meer. Er findet sich in einer eigentlich trostlosen Bleibe, bei einem seltsamen Wirt, in einem viel zu kleinen Zimmer, wieder. Er breitet seine Malutensilien aus, richtet sich ein. Er begegnet einem namenlosen Jungen, der sich mit dem Alltag, dem Leben schwertut, sich enorm eigenwillig äussert, entsprechend seinen Alltag lebt. Es wachsen Gesprächsinhalte bei langem Verweilen. Dieser Junge sorgt dafür, dass Anton gefunden und von seinen Freunden zurückgeholt wird. Es setzen die Zeit des Sterbens und der lange Klinikaufenthalt ein. Man wird auf intensive Art in diese Zeitspanne reingenommen.
Anton habe, so ist nachzulesen, für seinen Hinschied einen schönen Tag ausgewählt.
Seine Geschichte sei – so ein Teil des Epilogs – verfilmt und international bekannt geworden. Sein Alltag war urplötzlich ein Bestseller.

Fragen, Diskussion

Nelio Biedermann trug Teile dieses Geschehens vor, dies vor bedauerlich wenigen Besucherinnen und Besuchern. Es ergaben sich viele Fragen und Kommentare von jenen, die den Inhalt bereits kannten und spürbar bewegt waren. Der Autor erzählte von seiner Maturaarbeit, von seinen Gesprächen mit mehreren, international bekannten Autoren, von seinen Lieblingsbüchern und seinem riesigen Lesebedürfnis.
Die Figur des Anton habe früher einen Nebenschauplatz gehabt. In Kontakten mit seinen Grosseltern und langem Nachdenken habe er sich ins Leben des Krebskranken einfühlen gelernt.
Bewusst habe er den Namen einer Stadt ausgeklammert und Anton eine grosse Siedlung zugewiesen. Innerhalb von vier Monaten habe er alles niedergeschrieben, dann ein weiteres halbes Jahr gebraucht, um alles so zu überarbeiten, dass es für ihn gestimmt habe.
Nelio Biedermann merkte dezidiert an, dass er für sich und nicht für andere schreibe – auch wenn das einzelne Bekannte als «komisch» einstufen, wenn er sich als Zwanzigjähriger mit dem Verfassen von Büchern abgebe.
Er schreibe figurenbezogen, wende sich mit seinem literarischen Arbeiten dem Roman und nicht dem Sachbuch zu.

Vieles gab er preis, antwortete bereitwillig, in offener Art. Die Teilnahme an dieser Lesung hat viel Anteilnahme geweckt.

Noch wies Christa Pellicciotta, Geschäftsführerin der Kulturbuchhandlung an der Abläschstrasse, auf die Wortreich-Aktivitäten bis zum Jahresende hin, bevor es Zeit fürs Verweilen und einen regen Gedankenaustausch wurde.