Sein Hin und Her zwischen Mundart, Hochsprache und Rätoromanisch samt Gegenüberstellen der beiden Sprachen, das sanfte Anbiedern zwischen Freunden, Liebesleben mit Sehnsucht und Schildern von gar lieblich Zwischenmenschlichem, Versagen, Saufen, das Hineinmanövrieren in herrliche Situationen – alles kam anlässlich einer munteren, alles andere als alltäglichen «Hörstunde» in der Kulturbuchhandlung Wortreich Glarus zum Tragen. Die aufmerksam Hinhörenden lebten sich in diese, uns in Teilen sehr bewussten Situationen rasch ein. Es gab viele Momente, die zum Schmunzeln, Lachen, Mitgeniessen führten. Camenisch switcht geschickt, klug und witzig vom einen zum andern, verharrt in seinen Gedanken dort, wo es ihm notwendig, sinnbringend erscheint. Er ist ein geschickt, genussreich Erzählender. Dank ihm wurde das Geschriebene, vielen offensichtlich Vertrautem zum Leben erweckt, gewann an Melodie und Reichtum. Camenisch geniesst offensichtlich mit, seine «Buchhelden» sind ihm mehr als vertraut. Er ist deren intimer Kenner und damit in der Lage, Schwächen, Stärken, Träume, Sehnen, Zurückblicken in Vergangenes, Vermutungen, Rauslösen aus irgendwelchen Situationen genüsslich aufzuzeigen. Dies macht sein Schildern nicht einfach vergnüglich, an der Oberfläche bleibend. Er ist Meister der sprachgebundenen «Minimal Art».
Es ist zuweilen die Knappheit des Schilderns, die dem Leser Raum für eigene Gedanken bietet. Camenischs Sprache ist deutlich, ist Akzent im Einen und Andern. Fred und Franz leben das intensiv, ehrlich, zuweilen schonungslos aufzählend. Sie kennen sich bis ins Innerste, pflegen einen Umgang, der nie und immer enge Freundschaft, gegenseitiges Helfen, verständnisvollen Miteinander in «Freud und Leid» ist. Es wird zuweilen deftig, heftig mit ruppiger Offenheit geredet über ein wahrlich bewegendes Durcheinander, wie es zuweilen in jedem Leben vorkommt. Fred und Franz philosophieren ohne wissenschaftlichen Hintergrund. Alles ist so, wie es eben war oder sein wird. Arno Camenisch lässt die beiden Brüder im Verlaufe von 24 Stationen, die Alltag sind, reden, reinwachsen, zurückblicken. Es wachsen Bilder, die eine ungemeine Lebendigkeit, Offenheit, Urtümlichkeit offenbaren. Camenisch gestaltet mit unnachahmlicher Eigenwilligkeit, schildert mit knappsten Sätzen, in denen fast alles klar ist.
Das Ausleben der Frauengeschichten, Ferien, Aufenthalt am Meer, Erlebnisse auf der im dümmsten Moment stillstehenden Seilbahn samt ungemütlichem Verharren in der klirrenden Kälte, der erzwungene mehrtägige Aufenthalt im Knast, das Zurechtrücken des Kruzifix in der Sauna, Trinken, kulinarisches Geniessen – wenns dann so ist – sind derartige Szenen. Camenisch wird zum sensibel Betrachtenden, Charakterisierenden, der seine Hauptfiguren gekonnt agieren lässt. Einiges mag bei den Hinhörenden aufklingen, mitschwingen.
Camenisch ist keiner, der die Lust am reinen Fabulieren auslebt. Er lotet aus, denkt sich rein – in eine Welt, die partiell auch unsere sein könnte. Das genüssliche, kenntnisreiche Beschreiben fängt den Lesenden ein, lässt verharren, in Eigenem rumkramen.
Auf der Bühne ihrer Kulturbuchhandlung konnte Christa Pellicciotta auch den Gitarristen und Sänger Pascal Gamboni, einen guten Weggefährten von Arno Camenisch ,begrüssen. Er pflegt leise, eindringliche Musik mit beinahe versteckten Schönheiten, alles Schrille vermeidend. Dass Camenisch im vergangenen Jahr den Eidgenössischen Literaturpreis und in diesem Jahr den Hölderlin-Förderpreis erhielt, dass seine Geschichten in mittlerweile 18 Sprachen übersetzt worden sind und ihn die Lesungen in fast alle Ecken der Welt führen, einiges als Theater gespielt wird, Neues am Entstehen ist (da hielt sich Camenisch verständlich bedeckt), war Teil eines kurzen «Werkstattgesprächs», das den sympathischen in Tavanasa aufgewachsenen Bündner näher brachte. Man erfuhr, was ihn zum Schreiben veranlasst. Auf kommende Camenisch-Literatur darf man sich freuen.
Arno Camenisch liest und erzählt
Arno Camenischs Fabulierlust mit Munterkeiten, alltäglichem Blabla, knallhartem Charakterisieren, kurzem und prägnantem Feststellen, zuweilen gar markigen Ausdrücken.