Arno Camenisch und Herr Anselm

Unlängst las Arno Camenisch in der Kulturbuchhandlung Wortreich aus seinem neuesten Roman «Herr Anselm». Sich darunter auf den ersten Blick etwas vorzustellen, ist nur sehr bedingt möglich. Erfreulich viele «Camenisch-Fans» machten sich auf, um über diesen Herrn Anselm mehr zu erfahren.



Arno Camenisch und Herr Anselm

Man hörte gerne zu, staunte, schmunzelte, dachte nach, stellte fest, dass Derartiges auch anderswo passieren könnte – nur ist dann eben kein Arno Camenisch zur Stelle, der vieles in unnachahmlich geschickter und eigenwilliger Art zu verdeutlichen weiss. In der Buchhandlung im Möbeliareal Glarus war mit Camenisch auch der Gitarrist Roman Nowka zu Gast, in perfektem Zusammenspiel.

Arno Camenisch, 1978 im bündnerischen Tavanasa geboren, heute in Biel lebend, studierte am dortigen Schweizerischen Literaturinstitut. Stets erscheinen seine Bücher im Engeler-Verlag. Erstmals war das im Jahre 2009 mit «Sez Ner» der Fall. Camenisch ist ein Weitgereister. Seine Lesungen führten ihn kreuz und quer durch die Welt, weilte er doch beispielsweise in Hongkong, Buenos Aires, Moskau, New York und anderswo. Seine Texte wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet.

Es ehrt die Verantwortlichen der Buchhandlung Wortreich, dass Arno Camenisch bereits zum 6. Mal im erwiesenermassen beinahe kleinsten Hauptort der Welt weilte.

Wer ist denn dieser «Herr Anselm»? Was hat ihm die Ehre eingebracht, Titelfigur und gleichzeitig Hauptdarsteller inmitten einer Fülle wechselvollster Ereignisse zu sein, die wohl nur ein Arno Camenisch so hinkriegt, wie es der Fall ist? Beim Lesen wächst die Erkenntnis, dass dieser Literat nahe bei den Leuten ist, dass er sehr genau weiss, wie sie ticken. Und das macht den Herrn Anselm und mit ihm auch Arno Camenisch so riesig liebenswürdig.

Man setzt sich hin, beginnt mit der Lektüre und hat dann bald mal ein Problem – man kann fast nicht mehr aufhören! Der Herr Anselm ist riesig eigenwillig, zeitkritisch, zuweilen verträumt, mit seiner verstorbenen Frau stets so bewegend verbunden. Der Herr Anselm ist die gute Seele im und ums Schulhaus. Er hilft, wenn es notwendig ist; er flickt Defektes, trägt Unterrichtsstunden einsatzfreudig mit, urteilt, verurteilt und wettert. Und Arno Camenisch haucht seinem Titelhelden eine Form von Leben ein, die so farbenreich, bewegend vielfältig ist.

Herr Anselm sagt von sich, dass er als treue Seele auf dem «Schiff» unterwegs sei, dass er nach 33 Dienstjahren eine Ehrenrunde drehe. Mit dem «Schiff» ist die Schule in einem kleinen bündnerischen Bergdorf gemeint. Weil die Zahl der schulpflichtigen Kinder deutlich gesunken ist, soll sie nach dem Willen der Behörden aufgegeben, geschlossen werden. Dieser Entscheid wird mit dem Ende der Ferien – in nicht eben passender Weise – mit einem Anschlag im Lehrerzimmer bekanntgemacht; einfach so und bald mal fertig.

Das schluckt Herr Anselm nicht. Zum Widerstand gehören das Rückfragen, das Zusammentragen guter Gründe für die Beibehaltung der Schule, das Warten auf die behördliche Antwort. Es wird gewaltig argumentiert, so nachvollziehbar deutlich, herzerwärmend. Und Camenisch bedient sich einer echt gekonnten Verquickung von Mundartausdrücken, Italienisch, Romanisch, die unnachahmlich lebendig aufklingt, Einblicke gewährt, die nur ein Camenisch so hinkriegt. Beim Lesen hat man zuweilen das Gefühl, direkt bei diesem Herrn Anselm zu weilen. Er ist ein ganz besonderer Hauswart, einer mit viel Herz, Weitblick, hilfsbereit, zuweilen leicht knurrig, riesig ehrlich, in seine Gedanken versinkend. Herr Anselm vermutet, deutet, urteilt, klagt auch an, wenn es denn sein muss. Sein Weltbild ist erfrischend gross. Mit einiger Verblüffung folgt man zuweilen seinen Ausführungen; staunt, was der alles einbezieht. Er kriegt es hin, dass man leidenschaftlich und voller Anteilnahme mitlebt, dass man in diese Welt eintaucht und es riesig bedauert, dass aus irgendwelchen Gründen ein Weiterlesen im Moment nicht möglich ist.

Und wohl deshalb entschieden sich ganz viele, den kleinformatig gehaltenen Band zu erwerben, ihn von seinem Erschaffer signieren zu lassen und nach Hause zu nehmen.