Asbest/Eternit bis 1995

An der heutigen Sitzung behandelte der Regierungsrat die Motion «Aufarbeitung der Rolle des Staates im Zusammenhang mit Asbest/Eternit bis 1995» von Landrat Marco Kistler und empfiehlt dem Landrat diese abzulehnen.



Motion «Aufarbeitung der Rolle des Staates im Zusammenhang mit Asbest/Eternit bis 1995». (Bild: zvg)
Motion «Aufarbeitung der Rolle des Staates im Zusammenhang mit Asbest/Eternit bis 1995». (Bild: zvg)

Landrat Marco Kistler, Niederurnen, verlangt die Einsetzung einer unabhängigen Fachkommission durch den Regierungsrat, welche die Rolle der staatlichen Institutionen im Zusammenhang mit der Asbestproduktion und deren gesundheitlichen Risiken aufarbeiten soll. Er verweist auf die gesundheitsschädigenden Auswirkungen des Einatmens von Asbeststaub mit teilweise erst Jahrzehnte später eintretenden, oft tödlichen Folgen. Die Gesundheitsgefährdung habe vom Beginn des Asbesteinsatzes in der Firma Eternit Niederurnen um 1900 bis zur Einstellung der Asbestverarbeitung Ende 1994 angedauert und dieser Umstand sei auch auf Fehlverhalten staatlicher Behörden zurückzuführen.

Stellungnahme des Regierungsrates


Heute ist unbestritten, dass der in früherer Zeit mangelhaft gewährleistete Schutz vor der gesundheitsschädigenden Wirkung des Asbeststaubes grosses menschliches Leid bei den unmittelbaren Opfern und deren Angehörigen bewirkt hat. Der Staat hat die Abfederung der finanziellen Folgen nach Massgabe der Gesetzgebung zu gewährleisten, dies insbesondere über die Sozialversicherungen. Darüber hinaus besteht ein öffentliches Interesse daran, aus Vergangenem die Lehren zu ziehen. Unter anderem ist zu klären, ob die im Zusammenhang mit der industriellen Verwendung von Asbest für Arbeitssicherheit mitverantwortlichen Behörden Fehler begingen, die sich künftig vermeiden lassen.

Heute kann dies mit einem um ein Vielfaches besseren Wissensstand beurteilt werden. Erst durch den wissenschaftlichen Fortschritt wurden und werden schädliche Folgen eines Materials oder einer Technik erkannt, beim Asbest der Zusammenhang zu Asbestose und Lungenkrebs relativ spät. Heute gilt dies für die Verwendung von Smartphones und Handys, deren Verwendung als unbedenklich beurteilt wird, aber auch für Gentechnik oder Nanotechnologie. Wäre jedes Risiko auszuschliessen, müssten solche Technologien sofort verboten werden, was jedoch Innovation und Fortschritt hemmte, ja verhinderte.

Ob die Organe ihr Verhalten genügend abgeklärt hatten, mag unterschiedlich beurteilt werden. Weitere Aufarbeitung müsste sich an den damaligen Gegebenheiten und der Rechtslage orientieren. Den Schutz der Gesundheit von Fabrikarbeitern legte schon die Bundesverfassung 1874 in die Kompetenz des Bundes. Das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 (KUVG) verpflichtete die unterstellten Betriebe, zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten alle Schutzmittel einzuführen, die nach der Erfahrung notwendig und nach dem Stand der Technik und den gegebenen Verhältnissen anwendbar waren. Die Überwachung des Vollzugs dieser Vorschriften oblag der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt SUVA. Den Kantonsregierungen kam die Genehmigung von Fabrikanlagen sowie die Bewilligung von Betriebseröffnungen nach Massgabe des eidgenössischen Fabrikgesetzes zu. Die Verhütung von Berufskrankheiten war und ist Hauptobliegenheit der Bundesorgane. Die Eternit AG wurde 1903 gegründet; 1904 begann in Niederurnen die Produktion von Dachschiefer, Wabenschiefer und Fassadenbekleidungen. Als sich die Gesundheitsgefährdung von Asbeststaub zu verfestigen begann, war die Verhütung von Berufskrankheiten Sache der Bundesgesetzgebung und der SUVA. Das Asbestverbot wurde denn auch in der eidgenössischen Stoffverordnung verankert; den Kantonen war und ist es untersagt, Vorschriften über Stoffe zu erlassen.

Eine Untersuchung der Rolle staatlicher Institutionen im Zusammenhang mit der gesund­heitsschädigenden Asbestproduktion in Niederurnen müsste die Bundesebene, namentlich das Verhalten der SUVA, einbeziehen. Organe des Bundes können aber von den Kantonen nicht zur Gewährung von Akteneinsicht oder Erteilung von Auskünften verpflichtet werden. Die Aufarbeitung durch eine kantonale Fachkommission beschränkte sich daher weitgehend auf die bei kantonalen und kommunalen Organen erhältlichen Informationen. Das Recht zu umfassender Ausleuchtung bliebe der Kommission somit verwehrt. Die von der Motion geforderte Einsetzung einer solchen Kommission mit weitreichenden, sogar der Beschlussfassung durch die Landsgemeinde bedürfenden Befugnissen, ist weder angemessen noch zielführend.