Bach vorgezogen

Am Sonntag, 15. Juni 2008, um 17 Uhr führt der Glarner Singverein zusammen mit dem Orchester Ad Fontes unter der Leitung von Christoph Kobelt in der Stadtkirche Glarus eines der 100 Meisterwerke der Klassik auf: Die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Eine Zusammenfassung barocker Kompositionskunst und ein wahres Pièce de résistance.



Singt die schwierigen Tenorpartien der h-Moll-Messe: Der Schweizer Startenor Fabio Trümpy. (Bild zvg)
Singt die schwierigen Tenorpartien der h-Moll-Messe: Der Schweizer Startenor Fabio Trümpy. (Bild zvg)

Hätte Bach die h-Moll-Messe in Köthen geschrieben, wäre sicher eine C-Dur-Polonaise daraus geworden – aber mit Chor!» Das sagt der Kölner Musikwissenschaftler und Kabarettist Konrad Beikircher über die berühmten Brandenburgischen Konzerte des Altmeisters aller Klassik. Über Bachs ältesten Sohn Wilhelm Friedemann und dessen «Dissonanzen-Symphonie» verkündet er: «Musik wie ein Elfmeter!» Nun hat Bach die h-Moll-Messe aber nicht als Elfmeter komponiert, sondern wie ein hoch stehendes Italien-Portugal mit 1:1 nach Verlängerung. Schon das Kyrie dauert länger als fast jede Missa brevis, oder anders ausgedrückt: Jeder Teil der Messe ist in sich ein abgeschlossenes Meisterwerk, das wiederum im höheren Ganzen der musikalischen Messarchitektur aufgeht, was dann eben zu diesen zwei bis zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer führt. Leider kann man – aus aufführungspraktischen Gründen – nicht nach jedem Teil aufstehen und sich ein Bier holen.

Damit aber jeder und jede – der Bach hören und auf Schweiz-Portugal nicht verzichten möchte – die Aufführung vom 15. Juni geniessen kann, beginnt das Konzert in der Stadtkirche bereits um 17 Uhr. Zu einer Zeit also, wo das Kirchenschiff noch von hellem Licht durchflutet ist. Für den Glarner Singverein ist das diesjährige Hauptkonzert eine grosse Herausforderung. Gesanglich, weil viele Gesangspartien auch mit Barocker Stimmung sehr hoch liegen und die Stimmen öfter geteilt werden. Interpretatorisch, weil die h-Moll-Messe voller spannender Kontraste steckt, wie

Wolfgang Dörr in der Saarbrücker Zeitung schreibt: «Sind schon die Choräle und fugierten Sätze in den Kantaten nicht einfach zu singen, so fordert die h-Moll-Messe noch mehr; besteht sie doch aus dem Kontrast der Darstellung des Glanzvoll-Prächtigen des katholischen Glaubens und des subjektiven innerlichen Wesens des Protestantischen.» Insofern gibt es wohl weltweit kaum eine Kirche, die mehr zum Werk passt, als die Stadtkirche, die ja fünfhundert Jahre lang von beiden Konfessionen genutzt wurde.

Für die schwierigen Arien und die virtuosen Orchesterpassagen arbeitet Christoph Kobelt mit dem bewährten Orchester Ad Fontes zusammen. Es garantiert, dass der durchsichtige und klare Chorklang der knapp über 40 Sängerstimmen auch durchsichtig und beweglich bleibt. Als Solistinnen werden die Winterthurer Sopranistin Dorothea Frey und die Ingolstädter Altistin Ursula Eittinger auftreten. Eittinger singt die h-Moll-Messe in diesem Jahr auch mit dem Gewandhausorchester in Leipzig unter Trevor Pinnock. Als Bass wird der Walliser Stephan Imboden zu hören sein. Die Tenor-Partien singt der in Lugano geborene Fabio Trümpy, der heute zu den bekanntesten niederländischen Gesangssolisten zählt.

Der Dirigent schliesslich ist im Glarnerland – wie man so sagt – kein Unbekannter und in Sachen Bach und h-Moll-Messe beschlagen wie kaum einer. Bereits 1987 führte er einen Teil des Werks (das Credo oder Symbolum nicenum) in der evangelischen Kirche in Netstal auf – in der damals revolutionären barocken Aufführungspraxis. Heute darf er das ganze Meisterwerk präsentieren mit einer Mannschaft, die höchste Qualität und 120 Minuten Spannung verspricht, in einem Werk, das nur einen Flop hat: den Schlussakkord, weil er bedeutet, dass es nicht mehr weiter geht.