Baldrian – wie schön ist doch Langsamkeit

Thomas Leuenberger, mit dem Begriff «Flügzüüg» einst zu 50 Prozent verbandelt, machte auf Einladung des Kulturvereins Glarus Süd unlängst nachhaltig klar, wie bedeutsam es ist, beinahe jeder Hektik auszuweichen und sich Bedachtsamem total umfassend zu widmen, dies auch zu leben. Sein breiter, gemütlicher Berner Dialekt und die kreative Vermischung der verkündeten und in so gewinnender Art ausgespielten Szenen waren Ausgangspunkt für willkommen wohltuendes Begegnen.



Baldrian – wie schön ist doch Langsamkeit

Und Thomas Leuenberger machte auf unnachahmliche Weise vor, was Herzlichkeit und Direktheit ausmachen. Er verzichtet – wohl bewusst – auf Spektakel, Blitz, Donner und Bühnennebel, vermeidet schnelle Abfolgen von Lichtorgien und farbigen Wechseln irgendwelcher Projektionen – mit Ausnahme des Zelebrierens einer fülligen Mahlzeit mit Schnecken, nicht ohne vorher als veritabler Schulmeister aus den Fünfzigerjahren die Geschichte der aus Frankreich eingewanderten Weltmeister der Langsamkeit unter die Leute gebracht zu haben. Und dass er dann die Schnecken in lauschiger Umgebung an seinem Essen teilhaben lässt, es akzeptiert, dass sie ihm den Salat wegknabbern, gehört zu seiner umfassenden Bewunderung dieses Teils der Tierwelt.

Überhaupt: Tiere haben es ihm angetan. Er lässt einen riesigen Papierdrachen durch die weite Gemeindestube schweben, holt ihn mithilfe seiner Angelrute wieder auf die Bühne zurück, kommentiert, was Drachenaugen so zu sehen vermögen. Der klitzekleine Bruder kommt erst später zur verdienten Geltung.

Und dann wäre noch die Gisela, ein ganz, ganz langer Flugwurm, aus vielen sich gegen das Schwanzende verkleinernden Teilen, mit grosser Sanftheit und kindlicher Neugierde ausgestattetes Getier. Die Gisela hat sogar eine eigene Beleuchtung, würde noch lange in Schwanden rumschweben, wenn sie nicht hinter den Vorhang zurückgeholt worden wäre.

Botox, eigentlich eine Schnecke, vom Äusseren her aber so etwas wie eine Vermischung von Käfer auf Rädchen, unübersehbar grandios rotlippig, mit kecken Hörnchen, ist kein Freund von Langsamkeit und zarten Gefühlen. Sie ist leicht schnippisch, riesig rassig unterwegs, nähert sich beinahe allem mit spürbarer Neugierde, markiert nachhaltige Bühnenpräsenz.

Aber die so begonnene Schilderung betrifft den so liebevoll inszenierten Ablauf in keiner Weise. Alles begann ja mit Thomas Leuenberger auf dem Liegestuhl, seinem Sorgsamen Begrüssen, dem Hinweis auf den fast leeren Klöntalersee und sein mitgebrachtes Kübelchen mit eventuell echtem Aarewasser. Er sei nun 63 Jahre alt, habe eine erfolgreich verlaufene Langzeitstudie in Entschleunigung abgeschlossen, sogar ein Zeitlupenseminar besucht. Nun sei er am Aufbau seiner Baldrian-Vereinigung. Deren Motto lautet: «Wer langsam lebt, ist auch später tot».

Er berichtet über seine Erfahrungen mit der von ihm gelebten und erlebten Langsamkeit – andere Zeitgenossen hätten da längst ein Buch geschrieben!

Und wenig später taucht die bereits erwähnte lautlos einherschwebende Gisela auf, sie schluckt übrigens gerne Helium. Und weiter geht es mit dem Philosophieren. Einkaufen, Handy, eingesparte Zeit und mit total anderen, erdgebundenen Segmenten weiter. Da ist Leuenberger urplötzlich Kordula (mit K), Absolventin einer Steiner-Schule in Irgendwo, mit so einem Tick, der mit dem Ordnen der wilden Haarpracht zu tun hat. Es wird absolut charmant einhergezaubert, unter Zuhilfenahme eines Geldstücks, das unerklärlicherweise an Wert verliert; mit einer Vielzahl von Karten und anderem. Leuenberger jongliert so gekonnt, virtuos, beispielsweise jenes Bällchen korrigierend, das in der Dreiergruppe neu ist. Er verweist auf selbstgebastelte Keulen, hantiert mit leuchtenden Stäben und fluoreszierenden Tüchern. Da muss es trotz der zelebrierten Langsamkeit schnell gehen, da die bestens bekannte Schwerkraft enorm störende Auswirkungen hätte.

Leuenberger als Steinbock – mit dem Bündnerland eine Freundschaft auf Zeit eingehend – muss man live erlebt haben. Er stiefelt rum, übt sich in neuen Eigenarten, die von Bern elend weit entfernt sind.

Er holt sich Mitspielende auf die Bühne – für eine Flugnummer mit der Patrouille Susse als inhaltlich weit entferntem Vorbild.

Und die gewährten Zugaben führen – nach dem herzlichen langen Dank des grossen Publikums – in weitere Dimensionen dieses Künstlers und seiner so hervorragend präsentierten Form der Langsamkeit, erweitern das persönliche Wissen nachhaltig. So hat der Bär auf der bernischen Fahne der Schnecke Platz gemacht, vier sportliche Herren präsentieren nach Einleitung eine Sitznummer ohne Sitzfläche, Erst-August Artikel sind in sehr, sehr bescheidener Weise im Einsatz.

Und irgendwann hat alles ein Ende, Leuenbergers Erkenntnisse werden gewiss weiterleben – langsam und jede Form der Gesundheit fördernd.