Bauen oder sparen?

Weniger Gäste und damit weniger Geld, aber trotzdem hohe Investitionen in den Tourismus: Das Engadin beschreitet Wege, die so nicht erwartet würden.



Hahnensee oberhalb von St. Moritz: traumhaft schön
Hahnensee oberhalb von St. Moritz: traumhaft schön

Goldgelbe Lärchen, tiefblaue Seen, angezuckerte Bergspitzen, mildes Licht, traumhaftes Wetter zum Wandern: So präsentiert sich der Herbst im Oberengadin. Mein Mann und ich beschliessen spontan, für einige Tage in dieses wunderschöne Tal zu fahren – und hoffen, dass wir noch Platz finden werden. Gemäss der neuesten Übernachtungsstatistik müsste dies der Fall sein, verzeichnet Graubünden doch einen deutlichen Logiernächterückgang.

Und tatsächlich, die Hotelsuche gestaltet sich leicht: Wir buchen in einem schönen Haus in Silvaplana. Ab zwei Übernachtungen sind die Bergbahnen inklusive – ein weiteres Plus, welches uns die herrliche Feriendestination beschert. Das Hotel Albana ist nicht ausgebucht, doch sind die Besitzer zufrieden, wie sie erklären. Entgegen dem Trend im Engadin verzeichnen sie steigende Buchungszahlen. Die Freundlichkeit, der kompetente Service, das vorzügliche Essen und die schönen Zimmer vermögen auch uns zu überzeugen. Wir werden wohl nicht zum letzten Mal hier Ferien machen.

Das Traumwetter verlockt natürlich zum Wandern. Wir nutzen die Seilbahnen und sind erstaunt, dass wir nirgends anstehen müssen. Wohl gibt es Destinationen wie Muottas Muragl, welche von etlichen Touristen besucht werden. Der Hahnensee oberhalb von St. Moritz jedoch ist das Gegenbeispiel: Hier sind am letzten Septembersonntag trotz des prächtigen Wetters nur wenige Tische besetzt. Meine Frage nach dem vergangenen Sommer vermag der Wirtin nur ein müdes Lächeln zu entlocken. «Dann hoffen wir nun auf einen guten Herbst», sage ich. «Ach wissen Sie, wir schliessen am Dienstag, unter der Woche läuft absolut nichts mehr», lautet ihre Antwort.

Wir diskutieren mit einem Einheimischen, der erklärt, dass vor allem die italienischen Gäste aufgrund der Wirtschaftskrise fehlen würden. Auch die Zahl der deutschen und russischen Touristen habe markant abgenommen. Dafür kämen nun mehr aus Asien und Amerika. Ein Blick in die Statistik des Bundes bestätigt diese Aussagen.

Was aber tut das Engadin in dieser Situation? Es baut und baut. Unglaublich, wie viele Baustellen wir während unserer Ferien antreffen. Es werden -zig Wohnungen erstellt, was ja die Hotels nicht freuen wird – ausser sie sind selber daran beteiligt.

Die verrückteste Baustelle befindet sich auf Corviglia ob St. Moritz: Dort wird für 20 Millionen Franken ein Naturspeichersee gebaut, der die Schneekanonen im Winter mit Wasser versorgen soll. Dies natürlich bereits mit Blick auf die alpinen Ski-Weltmeisterschaften von 2017. «Kein Geld, aber solche Investitionen! Das ist einfach nur gestört», sagt unser einheimischer Bekannter.

Hat er Recht? Wäre es besser, den Kopf in den Sand zu stecken und das (noch) vorhandene Geld zu sparen? Das Engadin hat sich für eine Offensivstrategie entschieden, für hohe Investitionen trotz düsterer Wolken am Tourismushimmel. Ob sich dies auszahlt, wird die Zukunft zeigen. Mein Mann und ich werden dem herrlichen Tal bestimmt weiterhin treu bleiben. Trotz allfälliger «gestörter Investitionen». Zu schön sind die Seen, die Berge, die Wälder, die einen alles andere vergessen lassen und Erholung pur garantieren.