Beinahe eine Weihnachtsgeschichte

Es ist der 24. Dezember. Heiligabend. Wir sind zu Besuch bei der Familie Schlupfenberger. Wie jedes Jahr herrscht hier wenige Stunden vor der Bescherung eine grosse Hektik.



Beinahe eine Weihnachtsgeschichte (Bild: zvg)
Beinahe eine Weihnachtsgeschichte (Bild: zvg)

Der Baum muss noch geschmückt werden, das Wohnzimmer ist noch nicht geputzt, in der Küche ist immer noch ein grosses Durcheinander. Und das am wichtigsten Tag im Jahr. Die Oma und der Opa kommen. Tante Luise mit Onkel Franz, der griesgrämige Onkel Fritz mit seiner Frau. Alle kommen sie wieder. Wie jedes Jahr. Und jedes Jahr herrscht die gleiche Hektik und Aufregung. Herr Schlupfenberger hat sich in seine Garage zurückgezogen und bastelt an seinem Auto herum, die beiden halbwüchsigen Kinder sind in ihren Zimmern verschwunden. Der Familienhund Bodo versteckt sich unter dem Sofa. Einzig die Mutter Schlupfenberger saust im ganzen Haus herum und kann sich vor Arbeit kaum mehr erwehren. Sie jammert nicht. Schliesslich ist es jedes Jahr das gleiche.

Die Zeit vergeht, der Abend naht, als plötzlich das Telefon klingelt. Es ist Onkel Franz. Er teilt mit, dass sie nicht kommen werden. Schliesslich habe es doch geheissen, man solle sich nicht mit zu vielen Menschen umgeben. Frau Schlupfenberger ist entsetzt. Weihnachten ohne Onkel Franz und Tante Luise. Das hat es noch nie gegeben. Sie eilt in die Garage, um diese Nachricht ihrem Mann mitzuteilen. Der meint nur kurz: «Aha.» Auch die beiden Kinder haben nicht viel mehr zu sagen. «Soso», kommt es aus deren Munde. Kaum ist Frau Schlupfenberger wieder in der Küche, klingelt das Telefon erneut. Diesmal ist es der griesgrämige Onkel Fritz, der seinerseits Bedenken äussert und er deshalb zu Hause bleiben würde. Wieder eilt sie in die Garage. Wieder hat Herr Schlupfenberger nicht viel zu sagen und die beiden Kinder auch nicht. Langsam macht sich Frau Schlupfenberger Sorgen. Wie soll man ohne Gäste Weihnachten feiern? Nun ja, Oma und Opa kommen ja noch.

Doch diese Vorfreude hält nicht lange. Auch Oma und Opa wollen dieses Jahr zu Hause bleiben. Nun ist die Stimmung von Frau Schlupfenberger endgültig am Boden. Niemand kommt. Was soll das nur für ein Weihnachtsfest werden?! Keine Freunde, keine Verwandten. Erschöpft und enttäuscht lässt sie sich im Wohnzimmer in einen Sessel fallen. Sie ist den Tränen nah.

So langsam kapieren Papa und die beiden Kinder, dass es heute keine grosse Weihnachtsfeier geben würde. Macht auch nichts, denken sie sich. Vielleicht wird es dadurch etwas ruhiger. Und sie müssten sich nicht immer das Gejammere vom griesgrämigen Onkel Fritz anhören.

So nach und nach taucht die Familie wieder auf. Papa Schlupfenberger lässt die Arbeit am Auto ruhen und die Kinder gesellen sich auch zur Mutter ins Wohnzimmer. Die drei sehen, dass es der Mutter nicht gut geht. Da fasst Papa einen Entschluss und nimmt die Kinder beiseite, um seinen Plan zu besprechen. Plötzlich herrscht ein reges Treiben und alle machen sich an die Arbeit. Als sich Mutter an der Arbeit beteiligen will, stoppt sie Papa und befiehlt ihr, sitzen zu bleiben und die Zeit zu geniessen. Sie würden alle Arbeit übernehmen.

Die Kinder fangen an den Weihnachtbaum zu schmücken, Papa Schlupfenberger hantiert, zwar etwas umständlich, doch letztendlich erfolgreich mit dem Staubsauger herum. Der Tisch muss noch gedeckt werden. Die beiden Kinder lassen beim Dekorieren des Baumes und des Wohnzimmers ihre volle Kreativität walten. Mutter staunt nur und wundert sich. Doch jeglicher Versuch sich an der Arbeit zu beteiligen, wird sofort unterbunden.

Kurz vor 19.00 Uhr ist es dann so weit. Das Essen wird vom Papa fast professionell serviert. Alle kümmern sich nur um das Wohl von Mutter Schlupfenberger. Voller Freude lässt sich sie von allen Seiten her bedienen und geniesst es sichtlich. Im Hintergrund läuft eine CD mit Weihnachtsmusik. Es ist ruhig und sehr gemütlich. Anschliessend setzen sich alle um den Weihnachtbaum herum und beginnen sich Geschichten, die an Weihnachten passiert sind, zu erzählen. Da ist doch die Geschichte von Opa, der hatte damals sein Gebiss zu Hause vergessen und konnte fast nichts essen. Oder auch Tante Luise, jedes Jahr brachte sie Weihnachtsplätzchen. Steinhart und halb verbrannt. Aber sie war der Überzeugung, die besten gebacken zu haben. So reiht sich Geschichte an Geschichte. Es wird viel gelacht, und alle freuen sich über einen sehr gelungenen und gemütlichen Weihnachtsabend.

Mutter Schlupfenberger ist glücklich und muss sich eingestehen, dass dies ein sehr schöner Abend im Kreis ihrer kleinen Familie war.

Und die Moral dieser Geschichte?

Dieses Jahr ist alles etwas anders. Was aber nicht heisst, dass es nicht genau so schön sein kann. Denken wir daran. Weihnachten kommt immer und immer wieder. Doch diese schwierige Zeit wird vorübergehen.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Ihr Martin Carl Mächler