Bettagsmandat 2018

Vertrauen: notwendig oder naiv?



Bild: Stadtkirche Glarus (zvg)
Bild: Stadtkirche Glarus (zvg)

US-Geheimdienste haben nachgewiesen, dass sich Russland in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingemischt hat. Obwohl der amtierende Präsident dies als Fake News abtut, sorgen die Manipulationsvorwürfe für Aufsehen. Das Vertrauen in freie und unbeeinflusste Wahlen scheint auf einmal auch in einer westlichen Demokratie beeinträchtigt. Auch in der Schweiz wird im Zusammenhang mit der Einführung von E-Voting die Vertrauensfrage gestellt. Es regt sich Widerstand. Die Systeme seien nicht vertrauenswürdig und würden von den Menschen nicht verstanden. Naiv, wer den Maschinen blind vertraue. Die Befürworter verweisen hingegen auf über 200 problemlos durchgeführte Urnengänge mit E-Voting. Systeme und Betreiber hätten sich Vertrauen erarbeitet – naiv sei niemand.

Der Kanton Glarus will E-Voting ab den Nationalratswahlen 2019 anbieten. Die Landsgemeinde 2017 hat der Einführung diskussionslos zugestimmt. Der Landrat hat sie mit klarer Mehrheit beschlossen. Er hat Vertrauen in den neuen Weg der Stimmabgabe. Andererseits hat der gleiche Landrat elektronische Hilfsmittel zur Ermittlung des Mehrs an der Landsgemeinde trotz technischer Möglichkeiten abgelehnt. Das Vertrauen in den Landammann, dass dieser mit seiner Entscheidkompetenz vertrauensvoll umgeht, war ein wesentliches Argument.

Ohne Vertrauensbasis ist politische Führung schwierig

Diese Beispiele zeigen, dass Vertrauen eine wichtige Grösse in der Politik ist. Das gilt speziell für das Verhältnis der Bevölkerung zum Staat. Leider hat die Politik in vielen Ländern einen schlechten Ruf. Erhebungen zeigen immerhin, dass die Schweiz im Länder-Vergleich gut dasteht. Trotzdem ist es auch hier notwendig, am Verhältnis der Bevölkerung zur Politik zu arbeiten. Zwischen Bürger und Regierung muss ein gewisses Mass an Grundvertrauen existieren. Sonst ist die politische Führung einer Gemeinschaft schwierig.

Aber auch das gegenseitige Vertrauen unter den Bürgern ist eine wichtige Voraussetzung, gerade auch in einem Landsgemeinde-Kanton. Schliesslich ist die Stimmabgabe an der Landsgemeinde offen. Wir müssen darauf vertrauen können, dass eine andere Meinung respektiert wird. Wird dieses Vertrauen missbraucht, ist der Vorwurf der Naivität oft nicht weit. Vertrauen ist somit auch ein Wagnis.

Schliesslich ist auch das Vertrauen innerhalb der politischen Gremien wichtig. Das Kollegialitätsprinzip ist herausfordernd. Und es wäre tatsächlich naiv zu glauben, dass es nie zu Spannungen kommt. Der Schlüssel zum Erfolg einer Kollegialbehörde ist gegenseitiges Vertrauen. Insgesamt stellt sich also nicht die Frage, ob Vertrauen notwendig oder einfach nur naiv sei: Es ist Voraussetzung für das Funktionieren der Gemeinschaft.

Die Vertrauensfrage beschäftigt vielerorts

Die Fähigkeit, überhaupt vertrauen zu können, kommt nicht von ungefähr. Sie ist Bestandteil unserer Kultur. So verwendet eine neue Bibelübersetzung für das biblische Wort «Glauben» die Übersetzung «Vertrauen». Für den christlichen Glauben ist Vertrauen ein elementares Urwort. Ohne Vertrauen kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, wofür er steht.

Ausser mit Vertrauensfragen beschäftigen sich die Kirchen auch mit Vertrauensproblemen. So mancherorts schwindet das Vertrauen in die christliche Botschaft. Von der vielschichtigen Vertrauenskrise sind die Landeskirchen also ebenso betroffen wie politische Institutionen. Mitunter bekommen Seelsorger zu hören, Glaube sei überholt und nichts anderes als naiv. Aufgeklärte Menschen hätten das nicht nötig.

Vertrauen bietet eine Basis für neue Wege

Vertrauen ist aber nicht zu verwechseln mit Naivität. Es erfordert Entschlossenheit und Mut, vorwärts zu gehen. Ohne den Mut, Dinge anzupacken, bleibt Vertrauen etwas Luftiges. Vertrauen muss ausprobiert und gewagt werden.

Glaube basiert auf Vertrauen in Gott, wobei «Gott» auf einen festen Lebensgrund verweist. Nichts ist in Gott, das zu fürchten wäre, betonte Meister Eckhart im 14. Jahrhundert. Deshalb kann Gott vorbehaltlos vertraut werden. Das Vertrauen in einen sinnstiftenden Lebensgrund bewahrt davor, in seelischer Verzweiflung unterzugehen. 

Vertrauen bedeutet allerdings nicht, dass es keine Lebensstürme mehr gibt. Mit ihm lässt sich aber anders mit Schwierigkeiten umgehen. Vertrauen ist verbunden mit der Bereitschaft, sich Stürmen zu stellen im Wissen darum, dass es festen Boden gibt. Dann wird Vertrauen zur Basis für neue Wege. Wer etwas wagt im Vertrauen auf seine Fähigkeiten, kann Zukunft gestalten. So gesehen ist die Kultivierung von Vertrauen in unserem Staat und von Gottvertrauen in unseren Kirchen nicht naiv, sondern notwendig.