Bewegende Aufführung auf dem Klosterplatz

Die Aufführungen der diesjährigen, 16. Spielsaison lassen niemanden unbewegt. Das Geschehen verlässt der mitdenkende, innerlich bewegte Zuschauer mit vielen Fragen, die nach dem Text von Tim Krohn unweigerlich aufkommen und zu gewissen Teilen unbeantwortet bleiben, wie zum Beispiel die Feststellung auf der Titelseite des umfassenden, hilfreichen Programms: «Aes Gsicht ohni Narbä isch käs mänschlichs Gsicht.



Das Welttheater Einsiedeln. (Bilder: zvg) Tim Krohn.
Das Welttheater Einsiedeln. (Bilder: zvg) Tim Krohn.

Das Stück basiert auf dem Text von Calderon de la Barca. Für jede Aufführungsperiode – nach jeweils fünf bis sechs Jahren Unterbruch wird der Inhalt neu geschrieben, diesmal von Tim Krohn in ganz eigener Weise der ihn (be)drängenden Aktualität angepasst. Er stellt den zur absoluten Perfektion strebenden Menschen in den Mittelpunkt. Es ist der Mensch, der alles hinterfragt, genaue Antworten sucht, sie aber nicht bekommt. Es ist der Mensch auf dem ewigen Weg zur Vollkommenheit, die er nie erreichen wird, obwohl Wissen und Forschung ständig perfekter werden, aber den drängenden Egoismus und die Unersättlichkeit und auch die im Spielgeschehen feststellbaren Einschränkungen durch gesellschaftliche Vernetzung, Armut oder Reichtum, eigenes Wissen, Familiäres, Arbeit, Gesetze als Hemmnisse zur Kenntnis nehmen muss.
Perfektionieren schafft Gier, Unzufriedenheit, Hilflosigkeit, Ablehnung, Wut, Ungeduld, Masslosigkeit, Wahn, Begehrlichkeit.

Den Auseinandersetzungen mit den zahlreichen, beinahe zahllosen Momenten im Leben des gierig suchenden Menschen haben sich unter der Regie von Beat Fäh gegen 500 Spielende gestellt, in kleineren und grösseren Rollen, einzeln oder in der Gruppe, in einem von Caroline Mittler geschaffenen Bühnenbild vor der grossartigen Klosterkirche. Musik und eine geschickte Licht- und Videoregie führen zu nachhaltigem Erleben, das vor der eigentlichen Aufführung in zehn Bildern, in sinnvoller Weise vertieft werden kann – wenn man sich die Mühe nimmt, einer ungefähr 20 bis 30 Minuten dauernden Einführung beizuwohnen. Die zehn Bilder, vom Alltag, der neuen Schöpfung, dem Traum von der Überwindung des Elends, der Maschinerie der Rentabilität, grossen Einstürzen, Vorsätzen mit Neubeginn und anderem handelnd, fliessen nahtlos ineinander. Das Umsetzen der kleinen und grossen Szenen bedingt eine fein abgestimmte Choreografie (Jo Siska) auf der riesigen Spielfläche. Wegen der grossen Beweglichkeit der Darstellenden wächst beim Hinschauenden zuweilen eine Orientierungslosigkeit, die das Zuordnen der Geschehnisse erschwert. Die hohe Zahl der Agierenden (Reicher, Präsident, Penner, Bauer, Kind aus dem See, Prior, Eingeborene, Liebespaar, Chefärztin, Strassenfeger, Geistliche, Strahlende, Himmelshirtin, Pharmazeuten, Anwälte, Unperfekte, Ewige Jugend, Schräge Vögel, Versuchskaninchen, Polizisten, Demonstranten, Familienangehörige, Mutierte, Ahnern, Totentänzer, zahlreiche Instrumentalisten und andere) erfordert aufmerksames Mitverfolgen, mündet zuweilen in die resignative Erkenntnis, überfordert zu sein.

Texte, Licht, Musik, Gewusel, Schreie, Gefluche, Fragende – eine immense Flut ergiesst sich übers Publikum, das sich durchaus mitreissen lassen soll, das sich in die Strudel der Ereignisse einbinden lässt. Die Vielfalt ist wahrlich faszinierend, sich in üppigen Bildern aufbauend, dann versinkend – um Neuem Platz zu machen.

Ein Besuch ist empfehlenswert. Unter www.welttheater.ch erfährt man das Wesentliche problemlos. Gespielt wird im Freien noch bis zum 7. September bei fast jedem Wetter.