Bis zuletzt leben können

Die Bedürfnisse von Patienten am Lebensende standen im Mittelpunkt eines Vortrags von Regula Gasser vom Zürcher Institut «Dialog Ethik». Sie referierte vor der Hauptversammlung des Vereins Krankenbegleitung Glarus und Glarus Nord.



Dr. phil. Regula Gasser referierte vor der HV des Vereins Krankenbegleitung Glarus und Glarus Nord. (Bilder: mb.) Blick zum Vorstandstisch (von rechts): die Vermittlerinnen Alice Nydegger und Marlis Steiner
Dr. phil. Regula Gasser referierte vor der HV des Vereins Krankenbegleitung Glarus und Glarus Nord. (Bilder: mb.) Blick zum Vorstandstisch (von rechts): die Vermittlerinnen Alice Nydegger und Marlis Steiner

Dame Cicely Saunders, Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin, hatte einmal formuliert: «Sie sind wichtig, weil Sie eben sind. Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig, und wir werden alles tun, damit Sie nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben können.»

Die Palliative Care verfolgt denn auch nicht mehr das Ziel der Heilung. «Pallium bedeutet ummantelt, geschützt, umhüllt. Dabei geht es um die bestmögliche Erhaltung der Lebensqualität des Patienten, um Würde und Autonomie», sagte Dr. phil. Regula Gasser am Vortrag in Ennenda. Die Doktorandin der Praktischen Theologie, diplomierte Pflegefachfrau mit höherer Fachausbildung in Onkologiepflege sowie Psychologin, referierte vor rund 60 Interessierten, darunter vielen Krankenbegleiterinnen und -begleitern, über das Thema «Bedürfnisse am Lebensende».

«Es geht um Menschlichkeit»

Das Konzept des allumfassenden Schmerzes («Total Pain») in der Palliative Care umfasst verschiedene Dimensionen: physisch, psychisch, sozial und spirituell. Dazu zählen beispielsweise Faktoren wie «Zerfall» des Körpers, Verlust als Trennung von etwas, das in gewisser Weise Teil des Individuums ist oder ihm gehört und oft Trauer, Angst, Wut oder Depression auslöst, Abhängigkeit, Sorge um Angehörige, Angst vor dem Sterben, was kommt nachher, Schuldgefühle, religiöse Fragen nach Lebenssinn und der Bedeutung des menschlichen Lebens.

Die Deutungen können sich im Verlauf der Krankheit laut Regula Gasser auch verändern. Eine wichtige Aufgabe in der Krankenbegleitung sei es, das Mosaik an Lebenssteinen wieder zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Eine junge, schwerkranke Frau, die Grund zum Klagen gehabt hätte, meinte einst: «Das Leben gibt dir eine Zitrone. Mach Limonade draus. Ich finde, schwierige Umstände sind kein Grund, nichts aus seinem Leben zu machen.» Das habe sie sehr berührt, sagte die Referentin. So sei Spiritual Care wie ein Umdeutungsprozess. Spiritualität gebe Unterstützung in der Bedeutungsfindung und habe grossen Einfluss auf die Lebensqualität.

Als Herausforderung bezeichnete sie die Fallpauschalen in Schweizer Spitälern, mehr marktwirtschaftliche Elemente («man muss ökonomisch arbeiten in den Institutionen») oder die Gefahr der Funktionalisierung. «Aber es geht um mehr: um Mitfühlen, um Einfühlen in die Situation des Patienten, um Menschlichkeit.»

Patientenverfügung ist wichtig


Erschütternd war in diesem Zusammenhang das Fallbeispiel eines Patienten, der hin- und hergeschoben wurde, und zwar ohne Absprache mit den Angehörigen. Ethische Werte wie Autonomie und Selbstbestimmung standen der Pflicht der Fachperson gegenüber, dem Patienten im Sinne der Fürsorge jede erforderliche und sinnvolle Hilfe zukommen zu lassen, Schaden zu vermeiden und die Lebenserhaltung mit Leidensabwägungen zu verknüpfen.

«Alle sollen am Lebensende die Begleitung bekommen, die ihnen angepasst ist und ihren Bedürfnissen entspricht», betonte Regula Gasser und plädierte für das Ausfüllen einer Patientenverfügung, in welcher festgehalten wird, wie man medizinisch behandelt werden möchte, wenn man einmal nicht mehr urteilsfähig sein sollte. Von der Klarheit könnten Patient, Angehörige und Behandlungsteam profitieren.

Nähe, Beziehung und Stille

Vor gelichteten Reihen fand anschliessend die Hauptversammlung des Vereins Krankenbegleitung Glarus und Glarus Nord statt. Präsidentin Rita Schwitter aus Näfels dankte den Begleitenden für die Zeit mit kranken, alten oder einsamen Menschen, in welcher Nähe, Beziehung und Stille entstünden. Der Verein wolle sich den sich verändernden Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft anpassen, weitere Begleitpersonen würden gesucht. Der grosse Einsatz der Vermittlerinnen Marlies Steiner und Alice Nydegger wurde ebenfalls herzlich verdankt.

Kassierin Annalies Waldvogel konnte von einem erfreulichen Rechnungsabschluss berichten – nicht zuletzt dank Spenden, unter anderem von diversen reformierten Kirchgemeinden. Otto Wyss, kantonaler Kirchenrat der Reformierten Landeskirche, sagte weitere Unterstützung zu, plädierte für mehr Vernetzung und dankte für die wertvolle Arbeit: «Es ist sehr wichtig, dass es euch gibt.»