Blindschriften – Lesung und Gespräch

Die Verantwortlichen der stadtglarnerischen Kulturbuchhandlung «wortreich» luden unlängst zur Buchvernissage von «Blindschriften» mit der glarnerischen Autorin miu – sie schreibt unter diesem Pseudonym – ein. Es las die Schauspielerin Alexa Benkert. Viele Fragen stellten Janis Pellicciotta und Leute aus dem Publikum.



(von links): Janis Pellicciotta, miu, Alexa Benkert (Bilder: p.meier)
(von links): Janis Pellicciotta, miu, Alexa Benkert (Bilder: p.meier)

«Blindschriften» ist gewiss ein Buch, das unter besonderen Vorzeichen entstanden ist. Es handelt sich um den Erstling der Autorin. Sie ist Anfang 30, studierte Theologie, Germanistik und Journalismus. Bis zur Diagnose der enorm selten auftretenden, eigentlich unheilbaren Krankheit Morbus Behçet – die zu ihrer Blindheit führte – war sie im journalistischen Bereich tätig. Sie glaubt an Wunder und wurde – mit Einschränkungen – wieder sehend. Heute lebt sie mit ihrem treuen Vierbeiner am See und begleitet Menschen in sehr schwierigen Lebenslagen. Dazu kommt das Schreiben, das unter anderem zum ersten Roman geführt hat.

Janis Pellicciotta führte das Gespräch mit miu, fordernd, dezidiert, zuweilen leicht hektisch wirkend. Es gab viel zu fragen. Stets antwortete die Schriftstellerin knapp, offen und riesig ehrlich. Zwischendurch las Alexa Benkert Passagen aus dem Roman, mit dessen Inhalten sich miu teilweise durchaus zu identifizieren scheint. Es sind sehr wechselvolle Geschehnisse, anfänglich voller Unruhe, Elend, Unrast. Sie handeln von der beinahe unstillbaren Sucht nach Drogen, nach gierigem, ausuferndem Konsumieren, von Aufenthalten im entsprechenden Milieu. Es blitzen zuweilen der Wille und die Erkenntnis auf, dass ein Aufhören notwendig ist. miu braucht in diesem Teil starke Bilder, schreibt von seltsamen Gestalten aus deren Arme Flammen züngeln, sich zu Figuren fügen. Sie erwähnt «Clubgänger, die wie wandelnde Zombies einherstampfen». Der Teufel steht am DJ-Pult. Es kommen der Abgrund, die Klippe, das Dunkel des Meers, exzessives Geniessen, der Wunsch nach Änderung, chaotische Zugfahrten und anderes vor. Es ist eine total chaotische, bedrückende, überbordende Welt, in die Lesende reingeführt werden. Da «feuert der Satan seine Schergen an», Süchtige taumeln rum, öden sich an, pushen sich hoch, reden von leidenschaftlichem Lieben. Alltag mit Arbeit und Verpflichtendem haben da kaum Platz, können nicht gemeistert werden.

Von «Fuck» ist da oft die Rede

Es kommen die Aufenthalte im Spital, die vernichtende Diagnose, das Begegnen mit Fachärzten und der starke Wille nach Besserung, Heilung auf. Dies in intensiver Verbindung mit dem Aufenthalt an einem sehr abgelegenen Ort, die langen Gespräche mit der begleitenden Nonna Lou und weiteren Personen. In diesem Teil spielen der Wald, Bäume und deren Sprache und das lange, innige Verweilen an diesem Kraftort eine immense Rolle. Zuweilen blitzt wieder die Vergangenheit auf.

Alle Kapitel sind kurz, weisen klare Inhalte auf. Mit dem irgendwie zusammenfassenden Wort zum jeweiligen Beginn wird man mit der Abkehr aus der ehemaligen Sucht, der Erlösung aus der Blindheit und der Hinwendung zum starken Glauben vertraut gemacht. So heisst es beispielsweise: «Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an» (1. Sam 16.7) oder «Es ist, was es ist, sagt die Liebe» (Erich Fromm). Neuanfang ist «Das Haus am See». Ganz tief eingetaucht wird in Kirchengeschichtliches, Erklärungen sind am Ende des Buches nachzuschlagen.

Mit Antworten auf verschiedenste Fragen äusserte sich miu ungemein ehrlich, sich öffnend.
Nach ihrer Ansicht verleugnet die Kirche die Reinkarnation. «Blindschriften» ist kein Verarbeitungsbuch. Das Wissen um die Wiederauferstehung behält die Kirche für sich. Beim Wiedererlangen der Sehkraft spielten viele Faktoren eine immense Rolle; das sind Therapieformen, ganz lange und intensive Gespräche, eine riesige innere Kraft.
Wo Gott ist – für miu und auch viele andere überzeugende Erkenntnis, dass Gott in jedem wohnt, dass Gott-Sein eine ungemein persönliche Sache ist. Sie sagt, dass ihr Weg eine von vielen Theorien ist, dass sie sich nach dem Theologiestudium von der Kirche abgewendet habe.
Und nach vielem Lernen und Erfahren landet jeder Mensch an vorbestimmten Orten. Von diesem Auseinandersetzen bleibt niemand verschont.

Beim Apéro ergaben sich zum Teil lange und intensive Gespräche – was auch mit den Inhalten des präsentierten Buches zu tun hatte. Bald wird zudem das Hörbuch verfügbar sein, es liest Alexa Benkert.