Blumenmeer ersetzt Rasen-Wüste

Das Projekt «Blühende Nachbarschaft» will monotone Rasenflächen in bunte Blumenwiesen verwandeln. Nun engagieren sich Kanton und Gemeinden dafür, dass solche Biodiversitäts-Trittsteine auch in Glarner Dörfern entstehen. Ein öffentlicher Infoanlass stellte das Projekt vor und motiviert zum Mitmachen.



Andreas Kunz, naturwert GmbH, erklärt den Wert von naturnahen Grünflächen im Siedlungsgebiet. (Fotos: © Monica Marti)
Andreas Kunz, naturwert GmbH, erklärt den Wert von naturnahen Grünflächen im Siedlungsgebiet. (Fotos: © Monica Marti)

«Hummeln können keine Blumenwiesen anlegen. Darum muss der Mensch naturnahe Flächen im Siedlungsgebiet schaffen», begründete Gemeinderätin Gabi Aschwanden im Gesellschaftshaus Ennenda das Engagement der Gemeinde Glarus Süd für das Projekt «Blühende Nachbarschaften». Die Infoveranstaltung vom 27. März fand auf Einladung von Kanton und Gemeinden statt. Interessierte aus allen Glarner Gemeinden liessen sich von den Behörden über deren Gemeinschaftsprojekt informieren und zeigen, wo die öffentliche Hand diesen Frühling eintönige Rasenflächen in artenreiche Blumenwiesen umwandeln wird. Insgesamt werden es über 2500 Quadratmeter sein. Warum das nötig ist, erklärten Anahita Aebli von der kantonalen Fachstelle Natur- und Landschaftsschutz und Andreas Kunz von der Firma Naturwert.

Naturpotenzial im Siedlungsgebiet nutzen

«Dem Tal fehlen die Farben», veranschaulichte Biologin Aebli das Naturdefizit im Offenland. Bunte Blumenwiesen sind weitgehend aus dem Talboden verschwunden. In den Wiesen rund um und in den Dörfern blüht es vor allem gelb und weiss mit Arten wie Löwenzahn oder Gänseblümchen. Dieser Verlust der Pflanzenvielfalt wirkt sich auf Insekten wie Wildbienen negativ aus. Und deren Rückgang auf Tierarten, die sich von diesen Sechsbeinern ernähren. «Auch dem Igel geht es schlecht», fasste Aebli die Situation zusammen. Kunz und Aebli zeigten aber auch auf, dass naturnahe Flächen in Dörfern für viele Tier- und Pflanzenarten des Offenlands als Lebensraum dienen können. Diese Chance will das Projekt «Blühende Nachbarschaft» nutzen, in dem naturferne Grünflächen im Besitz der öffentlichen Hand für die einheimische Flora und Fauna aufgewertet werden. Davon profitiert auch die Bevölkerung, denn naturnahe Umgebungen steigern das Wohlbefinden. Doch wie wird aus einem Rasen eine Blumenwiese?

Mit Fachwissen und Geduld zum Erfolg

Wiesen entstehen durch Bewirtschaftung. Die Art der Pflege lenkt, wie sie sich entwickeln. Um die Artenvielfalt langfristig zu erhalten, legt das Projekt «Blühende Nachbarschaft» deshalb Wert auf die Schulung jener Personen, die die Blumenwiesen später pflegen. Es genügt auch nicht, Samen von Wildblumen zu streuen, um aus einem Rasen eine Blumenwiese zu machen. Diese könnten im dichten Gras nicht Fuss fassen. Im Park vor dem Gemeindehaus Ennenda zeigte Kunz den Gästen, auf was es bei einer Umgestaltung ankommt. Dort wurden kürzlich Erdarbeiten ausgeführt und dabei die gesamte Bodenvegetation entfernt. Eine so radikale Massnahme sei nötig für das Gelingen einer Neuansaat, erklärte Kunz mit Blick auf die kahle Erdfläche. Auch dürfe das neue Saatgut nicht in den Boden eingearbeitet, sondern nur oberflächlich ausgebracht werden. Wiesenblumen-Samen benötigen Licht zum Keimen. Statt Standard-Samenmischung sollte lokales Saatgut ausgebracht werden. Nur so lässt sich die für das Glarnerland typische Flora fördern. Kunz plädierte zudem dafür, vorhandene Standortbedingungen zu akzeptieren und zum Beispiel lehmige oder kiesige Erde nicht auszutauschen. Auch solche Unterschiede sorgen für Vielfalt. Die vielen Tipps zeigten, dass das Anlegen einer Blumenwiese Fachwissen bedingt. Und Geduld: Wiesenblumen bilden im ersten Jahr nach der Ansaat nur Blattrosetten. Bis zur Blüte dauert es ein weiteres Jahr.

Mit gutem Beispiel voran

Bunt wird es auf den diesen Frühling angelegten Wiesen also erst im Sommer 2026. Dann sollen Flockenblumen, Wilde Möhre, Wiesensalbei, Margeriten und andere Blumen Insekten wie Widderchen anlocken und das Auge der Bevölkerung erfreuen. Wer die Veränderung verfolgen will, findet in allen drei Glarner Gemeinden Projektflächen. Die meisten liegen auf Friedhöfen – zum Beispiel in Mühlehorn, Oberurnen, Netstal oder Schwanden. Kathrin Zweifel von der Gemeinde Glarus Nord nannte den Grund: «Auf Friedhöfen wurden viele Gräberfelder aufgehoben. Dadurch sind Flächen entstanden, die nun anders genutzt werden können.» Auch Christoph Zwicky, Gemeinde Glarus, wies auf den Wert von guten Gelegenheiten für naturnahe Aufwertungen hin. Zum Beispiel bei der sowieso erforderlichen Wiederbegrünung nach Bauarbeiten. So versuchen die Gemeinden auf öffentlichen Flächen Schritt für Schritt die Natur in den Glarner Dörfern zu fördern. Gemeinderätin Aschwanden wünscht sich, dass bis Ende Jahr in Glarus Süd symbolhaft für jede Einwohnerin und jeden Einwohner ein Quadratmeter neue Blumenwiese entsteht. Ob das Ziel erreicht wird, wird sich zeigen. Fest steht, dass es dafür auch private Gartenbesitzerinnen und -besitzer braucht, die mitmachen. Für noch Unschlüssige hat Berater Kunz einen Tipp: «Beginnt einfach!» Schmetterlinge, Wildbienen und andere Blumenwiesen-Bewohner würden sich diesem Rat sicher anschliessen.

Blühende Nachbarschaft

Das Projekt «Blühende Nachbarschaft» wurde von der Umweltstiftung PUSCH ins Leben gerufen. Ab diesem Frühling beteiligen sich auch der Kanton Glarus und seine drei Gemeinden mit Flächen der öffentlichen Hand daran. Finanziell unterstützt wird das Projekt durch die AXA. Je mehr Grünflächen und Gärten zu Lebensräumen umgestaltet werden, um so grösser ist der Wert für die Natur. Darum rufen der Kanton und die Gemeinden auch Gartenbesitzende dazu auf, ihre Rasenflächen in Blumenwiesen umzuwandeln und die Anzahl Quadratmeter der kantonalen Fachstelle Natur- und Landschaftsschutz mitzuteilen. Um Enttäuschungen vorzubeugen, sollte für die Umgestaltung fachkundiger Rat eingeholt werden. Das Naturzentrum Glarnerland in Glarus vermittelt Kontakte und gibt Tipps für mehr Natur im Garten. www.naturzentrumglarnerland.ch.