Charles Lewinsky schilderte bewegend im «Richisau»

An einem wahrlich abgeschiedenen, aber gerade deshalb reizvollen Ort, ist eine Begegnungsstätte gewachsen, die nicht bloss für Literaturfreunde von grosser Bedeutung ist. Naturliebhaber, Wanderer, sportliche Velofreaks, an Malerei und Historischem Interessierte fühlen sich im Richisau gleichermassen wohl.



Charles Lewinsky schilderte bewegend im «Richisau»

Eine Mischung aus leicht Märchenhaftem, knorrig-eigenwilligen Bäumen, Gastfreundlichkeit, markanten Bauten, majestätischer Natur und grosser, von Motorenlärm zuweilen gestörter Ruhe prägen den Ort. Mit willkommener Regelmässigkeit laden beispielsweise die Verantwortlichen von Bäschlin Litterraire über die Sommermonate hinweg zu Begegnungen mit namhaften Buchautoren ein.

Diesmal war Charles Lewinsky herzlich begrüsster und mit einigen Vorschusslorbeeren bedachter Gast. Hansrudolf Frey stellte Lewinsky und dessen umfassendes, international stark beachtetes Schaffen wortreich vor. Der Buchautor mit Jahrgang 1946 ist Verfasser verschiedenster Drehbücher und Schriftsteller. Er war als Regieassistent, Dramaturg und Regisseur an verschiedenen Bühnen und als Redakteur und Ressortleiter beim Schweizer Fernsehen tätig Einige Bücher wie «Johannistag» oder die jüdische Familiensage «Melnitz» geniessen zu Recht ganz starke Beachtung. Lewinsky verfasste eine Vielzahl von Liedtexten für verschiedenste Komponisten. Es ist wohl die immense, bemerkenswert kreative Vielfalt, die Lewinsky einen derart hohen Bekanntheitsgrad gebracht hat.

«Andersen» ist Lewinskys neuester Roman. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen Geschichte sich – so Lewinsky – bei ihm im eigenen Kopf eingerichtet habe. Andersen erwacht eines Tages und weiss nicht, wo er sich befindet. Er muss – das ist für ihn klar – als einfacher Melker einherkommen, um jene zu täuschen, die seiner habhaft werden wollen. Der Krieg, das weiss Andersen, ist längst vorbei. Die neue Zeit und damit die Umgebung ist ganz anders – aber wie hat sich alles entwickelt? Wie soll sich Andersen in diesem Neuland verhalten? Welche Werte haben Gültigkeit? Andersen ist ein meisterhaft Planender, aber reüssiert er? Er stellt bald einmal fest, dass er in vielem gebunden, eingebunden, bei Bewusstsein ist.

In der Ich-Form schildernd, zeigt Lewinsky auf, dass Andersen trotz betäubtem Zustand klar zu denken vermag, vom Vorher alles, vom Nachher nichts weiss. Mit diesem ständigen, rasch änderndem Vergleichen, Abwägen, Vermuten, Feststellen, subtilen Protokollieren, drängendem Fragen, Festhalten von Tatsächlichem führt Lewinsky in kluger, engagierter Art ins Geschehen ein, lässt einen verharren, weitereilen, staunen, geniessen. Die immense Fülle des Erlebens reisst mit. Das Erzählen in der Ich-Form schafft eine gewisse Nähe, ja Identität. Lewinsky ist ein meisterhafter Wortmaler, er lässt beim Leser Bilder wachsen, die zuweilen flüchtig anhuschen, dann wieder länger verharren. Lewinsky scheint mit Andersen mit Vermutungen, festen Erkenntnissen, Erfahrungen, Wünschen Träumen, Ängsten zu spielen, er fügt Fragmente zu Bewegendem, Spannendem, auch Beklemmendem. Er führt zu Munterem, kindlich Verspieltem. Kurzweil. Er komponiert eine Welt voller Gefühle, die so packend und attraktiv ist.

Andersen bekommt neue Chancen, um sich neu zu positionieren, sich zurechtzufinden, sich zu behaupten. Auf eine der gestellten Fragen gab Lewinsky an, dass er die Figur von Andersen von einem auf den andern Moment gesehen habe, ihn wohl deshalb so packend fassen konnte.

Die Lesung bot die Möglichkeit der riesig vielen Einblicke, des Hinhörens, Erfahrens und Hinterfragens. Des kurzen Verweilens in vielem, das dank der eventuellen Lektüre vertieft werden kann.

Mit Emil Zopfi, der literarischen Miteröffnung der Braunwalder Musikwoche in Anwesenheit von Gunhild Kübler und anderen Hinweisen, fand dieses Begegnen seinen Abschluss.