Claudio Landolt – Vorderglärnisch, Computermusik, Journalismus, Kompositionen

Claudio Landolts Leben zu beschreiben, ist nicht eben einfach. Es birgt eine Vielzahl von absolut Faszinierendem. Es zeigt auf, wie spannend und fordernd Suche, der Wille zum Auseinandersetzen mit ungewohnt Neuem sein kann. Das weckt Anteilnahme, Staunen und Bewunderung, was seine Eigenwilligkeiten, Talente und sein breit gefächertes Feld an Beruflichem betrifft. Er lebt in einer ihn prägenden Vielzahl von Begegnungen und Auseinandersetzungen, hat dies auch sehr bewusst gesucht.



Claudio Landolt – Vorderglärnisch, Computermusik, Journalismus, Kompositionen

Er erwähnt in Beantwortung vieler Fragen beispielsweise kleine Nebensächlichkeiten, die ihn berühren, in ihm Prägendes zuweilen auslösen, seine Sicht auf die Welt verändern; das sind zuweilen alltägliche Bilder, Momente, Ausdrücke. Ins Zentrum dieses Reichtums rückt er seine Liebe zur Musik. Das begann, als er – damals grad fünf Jahre alt – in der Küche seines Göttis «Queen» hörte. Das habe ihn buchstäblich «aus den Schuhen geworfen», war derart, dass er sich in einem Näfelser Fachgeschäft eine Kassette mit entsprechendem musikalischem Inhalt erwarb und mit Hinhören gar nicht mehr aufhören wollte. Sein Walkman wurde so Quelle zahlreicher Hörerlebnisse. Claudio Landolt bezeichnet sich für diese genussvollen und langen Momente als «musikalischer Vielfrass», für den die Stones, Beatles, Jimmy Hendrix und andere musikalische Grundnahrungsmittel waren. Als Drittklässler begann er bei Randy Müller mit Gitarrenunterricht. Er spürte, was das in ihm auslöste, ihn in Weiten führten, die ihn nicht mehr losliessen, die er ausloten wollte. Nach der RS begab er sich nach London und studierte während eines Jahres Gitarre. Seine Weltsicht wurde erweitert, machte ihn neugierig. Er setzte sich – auf gute Art weiterforschend – am London Center of Contemporary Music mit bisher Unbekanntem auseinander. Die einzige, für alle gleichermassen verständliche Sprache war die Musik, dies für 50 Leute aus allen Teilen der Welt.

Nach der Rückkehr in die Schweiz entschied er sich für ein Journalismus-Studium. Es kam zur Verbindung von Musik und Sprache, zur Ausweitung der medialen Ausdrucksform, die er als Musikredaktor bei Radio SRF bestens einsetzen konnte. Und «dazwischen» gründete er Bands, schrieb Songs, nahm das auf, war gleichzeitig Sänger und Gitarrist. Es spricht für seine Art des Suchens und kunstbezogenen Präsentierens, dass er sich nach mehreren Jahren von gitarrendominierter Musik abwandte seinen pfefferminzgrünen Oldtimer verkaufte und sich zwecks Studiums in Elektroakustischer Komposition an der Zürcher Hochschule der Künste einschrieb. Er konnte sich damit in Räumen und Wahrnehmungsebenen bewegen, die er vorher nicht mal gekannt hatte, die für ihn faszinierendes und forderndes Neuland waren. Alles habe, so Claudio Landolt, um ihn herum zu klingen begonnen. Es schlossen in dieser Zeitspanne der Masterstudiengang in Kulturpublizistik und die für sehr prägenden Auseinandersetzungen mit dem verstorbenen Elektroakustiker Luc Ferrari an. Er hatte in den Sechzigerjahren die «Anekdotische Musik» begründet und mit dem Komponieren von Alltagsgeräuschen begonnen. Mit Ferraris Schaffen hatte sich Claudio Landolt intensiv befasst. Dieses Auseinandersetzen fügte sich für ihn ins Studium von kompositorischen Konzepten und Schriften des amerikanischen Komponisten Alvin Lucier. Dass er ihn an der Zürcher Hochschule der Künste persönlich treffen, an Komponistengesprächen teilnehmen und bei der Aufführung seiner Stücke mitwirken konnte, beschreibt Landolt im Nachhinein als einen Höhepunkt seiner Studienzeit an der Kunsthochschule.
Und zu dieser überreichen Fülle an Wegweisendem gehören gemäss Claudio Landolt seine Eltern, seine Frau und die zwei Kinder in ganz wesentlicher und bedeutsamer Weise dazu. Sie unterstützen und setzen sich für Freiräume ein, ohne die es nicht möglich wäre, auf seine Art tätig zu sein.

Arbeitsinhalte, Weg zum Heute

Er merkt an: «Meine Konstante ist der Klang; gehörter, geschriebener, hörbar gemachter, übertragener oder interpretierter Klang. Alle Arbeitsfelder beeinflussen sich gegenseitig in gleichem Masse. So mache ich Radio aus der Warte des Klangkünstlers, schreibe Gedichte als Garage-Trash-Musiker oder komponiere Field Recordings mit journalistischem Gehalt». Lange Haare, ledrige, schwarze Jacke, Gitarre, Basketball, Skateboard und Hockey gehören der eher fernen Vergangenheit an. Das Experimentieren mit Aufnahmetechniken und das Schreiben fallen da eher in Claudio Landolts Neuzeit.
Oft ist er mit einem Aufnahmegerät unterwegs, er sammelt Klänge, wendet sich Klangwelten zu, an denen wir wohl meistens achtlos vorbeischreiten. Beispiele aus dieser Klang-Sammel-Leidenschaft sind beispielsweise Gesprächsfetzen, das stille Sirren eines Radiators, ein Staudamm am Lukmanier, die heissere Stimme eines Kaffeeverkäufers auf Sizilien.
Das ist Rohmaterial, mit dem weitergearbeitet wird – sobald Zeit dafür vorhanden ist. Dazu gehören Notizen und konzeptuelle Texte, in denen er die aufgenommenen Eindrücke verarbeitet. Es sind Sprachminiaturen, die zu Grösserem wachsen, Texte sind Sprach-Klang-Skulpturen.
Man geht mit ihm einig, wenn er anmerkt, dass Ton und Text eine lange gemeinsame Tradition haben. Der Interpretationsspielraum, das weiss Landolt sehr genau, ist riesig. Ist spannend, bietet Platz für Neues, ist Plattform des Auseinandersetzens, hebt sich von Gewohntem, Alltäglichem ganz klar ab.
So ist es denn nicht verwunderlich, dass seine Ausbildung «schon das halbe Leben andauert» und – das hoffte Claudio Landolt sehnlichst – nie enden wird.

Teilzeitjob und Nebenprojekte

An drei Tagen pro Woche ist er gegenwärtig für die Musikredaktion bei Radio SRF tätig. Mit Schwerpunkt Popmusik verfasst er Stories für die Moderierenden, er gibt mit sogenannten Lauftexten Moderationsgespräche vor. Er arbeitet an redaktionellen Geschichten zwischen den Songs und äussert sich selber auf verschiedenen Kanälen von SRF zu musikkultureller Aktualität. Im Moment steht sein Bergprojekt ganz klar im Zentrum. Er strukturiert seinen Alltag – auch wenn der zuweilen sehr hektisch ist – ganz bedachtsam. Es muss nicht bald wieder ein neues Buch erscheinen, die künstlerische Arbeit soll langsam wachsen, seiner jungen Familie ist gebührend Raum zu lassen. Seine drei Standbeine – dies zeigt er auf – sind Ton, Text und Radio. Da vermischen sich Musik, Geräusche, Gebirge und Natur derart, wie es in seinem Bergporträt «Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg» als spannende Ganzheit zum Tragen kommt.

Als Klangkünstler und Schreibender arbeitet Claudio Landolt oft allein. Es sind in Ergänzung die Kollaboration mit dem Glarner Fotografen Peter Hauser, das Duo Captain Moustache & Fredo Ignazio sowie deren aktuelles Nebenprojekt Kotzfrucht und das ebenso mit Dafi Kühne betriebene Vinyl-Label www.pommeschips.ch anzufügen. Als Kotzfrucht werden zusammen mit Dafi Kühne aktuell Kochrezepte aus den Siebzigerjahren mittels Gesang und Orgel für die interessierte Nachwelt aufbereitet.

Vorderglärnisch-Porträt und weiterführende Projekte

Der breiten Öffentlichkeit ist Claudio Landolt sicher mit dem Bergprojekt Vorderglärnisch bekannt geworden. Er nutzt die «Freiheiten der Poesie». Er sieht sich als künstlerisch Forschenden unterwegs, auf einem Weg mit vielen spannenden Unbekannten, hin zu weiten Zielflächen. Im Falle seines Vorderglärnisch-Porträts mündete dies in ein «Sinnliches Statement». Seit der Buchveröffentlichung im April entstand beispielsweise eine 25 Minuten dauernde Tonbandlesung. Im Herbst / Winter kommt ein Film raus, in dem er am Berg eine Lesung hält. Dieser Poesiefilm wird am Nature & Culture – Poetry Film in Kopenhagen gezeigt. Es wird sich zudem eine Zusammenarbeit mit der Zürcher Filmemacherin Dominique Margot und ihrem Dokumentarfilm über die Alpen ergeben. Auch in die Zukunft blickend sollen Ton und Text in seinem Schaffen gleichwertig bleiben, seine Klänge wollen gelesen sein und die Texte gehört werden.

Heimat in Gegenräumen

Claudio Landolt ist suchend, hinterfragend unterwegs. Er wählt aus, wenn Recherchieren wegen eines Projekts erforderlich wird. Und fragt man nach «Heimat» und «geschütztem Raum» wird er beeindruckend ehrlich. Seit drei Jahren wohnt er wieder in Glarus. Sein Atelier steht neben dem eigentlichen Haus. Das ist sein Gegenraum zur Aussenwelt. Da sind Arbeiten an Texten und Klangkunst, der gelegentliche Gedankenaustausch mit Freunden oder das Musikhören so möglich, wie es für ihn stimmt. Claudio Landolt ist weitgereister Musiker, Planer, Mitgestalter, Kulturmacher. Für den Moment sind Schiltstrasse und Glarus Heimat – auch wenn zuweilen Weite und Ferne ganz verhaltene Lockrufe aussenden.