Das Ichmussmeine Kinderdurchdie Schulebringen-Gen

Kinder durch die Schulzeit zu bringen, ist nicht wirklich einfach. Als uns diese süssen Frischlinge in den ersten Tagen in den Armen lagen, ahnten wir zu unserem Glück nicht, was uns noch bevorstand.


Angefangen hat es schon in der ersten Klasse. Mein Sohn kam am zweiten Schultag nach Hause, schmiss die Tasche in eine Ecke und wollte sich gleich wieder verdünnisieren, um draussen zu spielen. „Hast du denn keine Aufgaben?“ fragte ich , während ich mit einer Hand gerade noch sein Pulli zu fassen bekam und in rückwärts wieder ins Haus zog. „Doch, aber die mache ich nicht.“ lautete seine knappe Antwort. „Und warum nicht?“ „Das ist mein Leben und ich muss nichts machen, das ich nicht will.“ war seine bestechend einfache Erklärung.Man bringt ja seinen Kindern möglichst früh schon bei, dass sie nein sagen dürfen, falls sie mit Etwas nicht einverstanden sind. Nur bezog sich dieses Etwas eigentlich mehr auf ihren Körper und verstand sich sozusagen als Prävention, gegen mögliche sexuelle Übergriffe.Da stand ich nun mit einem riesigen “2“ auf dem Rücken und suchte krampfhaft nach einer einigermassen intelligenten Antwort. „Ok“, sagte ich, „Es ist tatsächlich dein Leben. Du entscheidest was du tun willst. Doch, wenn du deine Hausaufgaben nicht machst, verbringst du vielleicht die nächsten neun Jahre in der ersten Klasse. Denkst du, dass dir das gefallen würde?“ Diese Vorstellung fand er doch nicht so lustig, worauf er sich seinem Hausaufgabenschicksal ergab - fürs Erste.Die Lehrerin meines zweiten Sohnes, erklärte mir schon früh: „Er wird immer ein spezieller Mensch sein. Er hat so viel Fantasie. Er ist ein grosser Träumer. Ich hab ihn sehr gerne in meiner Klasse.“ Ist ja schön, doch unser Schulsystem ist nun mal nicht für „spezielle“ Menschen geschaffen und irgendwie muss ich ihn durch diese neun Jahre lotsen.Mitte dritter Klasse war dieser spezielle Schüler plötzlich nicht mehr fähig, einfachste Rechnungen auf Erstklassniveau zu lösen. Was soll das denn nun wieder bedeuten? Dazu gesellten sich Albträume, Verlustängste und Konzentrationsmangel.Nach diversen Abklärungen stellte sich heraus, dass er eigentlich unterfordert und seine intelligenzmässige Entwicklung weiter sei, als dies „normalerweise“ bei Kindern in seinem Alter sei. Patentrezepte, wie man in einem solchen Fall seinem Kind hilft, fand ich leider keine, obwohl ich mich durch unzählige Bücher las, die sich mit diesem Thema befassten. Die Schwierigkeit lag vor allem darin, dass mein lieber Junge im Gegenzug ein unverbesserlicher Minimalist in Sachen Schule war und heute noch ist. Ende vierter Klasse kam er mit einer Rechnungsprüfung nach Hause, auf welcher ich die Notiz der Lehrerin fand, diese doch noch einmal zu Hause mit ihm zu machen (die Note, neben der Notiz, war eine 2,5). Er schrieb daraufhin die Prüfung in 15 Minuten und hatte lediglich einen Fehler„Was war denn los in der Schule? Warum hattest du so viele Fehler und bist mit der Prüfung nicht fertig geworden?“ fragte ich ihn daraufhin. „Ja weisst du, da ist ein Superpuma herumgeflogen. Und so einen Helikopter sieht man sonst nie bei uns. Das war viel wichtiger als die Prüfung!“ Na ja, dachte ich, irgendwie hat er gar nicht so unrecht.Was machen wir, wenn unsere Kinder andere Prioritäten setzen, als von ihnen verlangt werden? Wie schaffen wir diese ewige Gratwanderung, zwischen dem Wunsch seinen Kindern ihre Individualität zu lassen und der Verpflichtung sie möglichst gut auf das Leben in der grossen, weiten, doch leider nicht immer so freundlichen, Welt vorzubereiten? Wir appellieren an ihre Vernunft (so ein super Ausdruck, mit dem Kinder wahnsinnig viel anzufangen wissen), versuchen ihnen klarzumachen, dass sie für ihr Leben lernen, nicht für die LehrerInnen und nicht für die Eltern. Dass, wenn sie sich jeden Tag nur ein Stündchen Zeit für Hausaufgaben und lernen nehmen, sie es viel einfacher in der Schule haben würden. Aus Sicht der Eltern könnte es so einfach sein. Nur ein wenig Organisation und guter Wille.Abends, wenn die Kinder über ihre schlechten Noten, über Provisorien und nicht gerade rosige Aussichten in Bezug auf Schulübertritte jammern, dann sind sie zu allen guten Vorsätzen bereit. Doch am nächsten Nachmittag, wenn die Sonne draussen lacht, ist es viel verlockender mit den Freunden die Stadt auf den Skates unsicher zu machen und den hundertfünfzigsten Sprung zu filmen. Das Lernen rennt einem ja nicht davon, das kann man doch auch noch später erledigen. Später ist man dann aber leider so müde und jeder Knochen tut weh, weil es Skaten ohne Stürze nicht gibt.Manchmal erinnern sich mich an jene Raucher, welche sich mit schöner Regelmässigkeit, jeden Silvesterabend vornehmen, das ungesunde Tun zu lassen. Am nächsten Morgen hingegen, finden sie tausend Ausreden, um das Vorgenommene noch etwas hinauszuschieben.Wir sitzen mit unseren Kindern am Tisch beaufsichtigen Hausaufgaben, büffeln Vokabeln, versuchen ihnen Dreisatz, Bruchrechen und Termumformungen - Termumformungen? Während meiner Zeit muss da wohl gerade eine schlimme Grippewelle unsere Schule, oder zumindest mich, erfasst haben - näher zu bringen und fühlen uns dabei manchmal wie der Esel am Berg.Ganz ruhig erklären wir zum hunderttausendsten Mal das Selbe. Unter dem Tisch klopft unser Fuss nervös auf die Dielen. Wir versuchen, hinter zusammengebissenen Zähnen, den letzten Rest unserer strapazierten Nerven zu bewahrenUnser vorpupertierendes Gegenüber dagegen, zeigt ganz offen, wie unsäglich nervend es das Ganze findet. Dieses über alles geliebte Geschöpf, das wir in diese Welt hineingeboren haben, hält überhaupt nichts davon, wenigstens so zu tun, als wisse es unsere Bemühungen zu schätzen.In diesem Augenblick würden wir am liebsten aufgeben, die Segel streichen und in ruhigen Gewässern vor uns hintümpeln. „Ok“, würden wir gerne sagen, „es ist dein Leben.“Aber irgendein bislang unentdecktes IchmussmeineKinderdurchdieSchulebringen-Gen hindert uns daran, denn täglich nehmen wir den Kampf erneut auf. Im tröstlichen Wissen, dass die Schuljahre ein Ende haben und wir zum Glück noch nicht ahnen, welche potenziellen Torturen uns danach erwarten.