Das neue Stück des Theater Glarus spielt mit den Gewohnheiten der Zuschauer. Statt der normalen Trennung von Zuschauerraum und Bühne, steht in dieser Produktion im wahrsten Sinne des Wortes ein Krankenbett im Zentrum. und das Publikum gruppiert sich darum. Das Bett gehört Argan einem reichen Greis, der unter allerlei Gebrechen zu leiden scheint. Dabei wird im ganzen Stück nie ganz klar, ob er wirklich krank ist, sich die Leiden nur einbildet oder ob er sie sogar nur vorspielt. Dabei ist er nicht die einzige Figur, welche mehr als eine Rolle spielt. Jeder Schauspieler spielt so seine Figur, welche dem übrigen Ensemble teilweise etwas vorspielt. Die junge Frau Argans, Bélines, spielt so nur die zärtlich Liebende, obwohl sie es nur auf sein Geld abgesehen hat.
Masken und Verfremdungen
Auch um diese Vielschichtigkeit aufzuzeigen tragen die Schauspieler Masken, welche sie nur gelegentlich abnehmen, um ihr „wahres Ich“ zu zeigen. Dabei sind die Masken auch eine Hommage an den Autor. Molière (1622-1673) steht an der Schwelle zwischen Commedia dell’arte und des neuzeitlichen Theaters. Die Figuren weisen eine deutliche Verwandtschaft mit den Charakteren der Comedia auf ohne sich jedoch auf blosse Typen zu reduzieren. Argan ist auf den ersten Blick als „Pantalone“, der polternde Alte, zu erkennen, jedoch zeigt Molière auch die Motivationen und Hintergründe. Ansonsten orientiert sich das Stück an der antiken Komödie, vor allem an der Einhaltung der drei Einheiten Zeit, Raum und Handlung. In der Inszenierung von Peter Wehrli kommen neben der Verlagerung der Bühne ins Zentrum weitere moderne Theatertechniken zum tragen. Die Schaupieler treten durch den Zuschauerraum auf und ab, setzten sich sogar teilweise zum Publikum. Dies erinnert stark an das Epische Theater von Brecht, welches durch Verfremdung eine zu starke Identifikation des Zuschauers mit dem Stück verhindern will. Dazu passen auch die Masken und vor allem, dass sie nicht durchwegs getragen werden.
Anhand dieser Stilmittel und Techniken spannt die Inszenierung des Theaters Glarus einen Bogen vom Theater der Antike bis hin in die Moderne. Kombiniert mit dem Vortrag im Glarner Dialekt ergibt dies eine faszinierende Mischung und Faszination, welche durch das eindringliche Spiel der Laienschauspieler noch verstärkt wird. Mit „Der eingebildete Kranke“ hat das Theater Glarus wieder einmal eine eindrückliche Inszenierung auf die Beine gestellt und es lohnt sich, das Stück live zu erleben