Das Leben der Schweizergarde im Vatikan mit dem COVID-19-Virus

Situationsbericht vom Gardisten und Hellebardier David Meier – Eingesperrt mit 44 Hektaren Bewegungsfreiheit.



Das Leben der Schweizergarde im Vatikan mit dem COVID-19-Virus

Es ist frühmorgens um 05.45 Uhr, Eingang Sankt Anna zum Vatikanstaat: Wir öffnen die Tore für den täglichen Transit. Scheinbar wie jeden Tag. Aber doch ist momentan so einiges anders: Nach wie vor überqueren zwar täglich Angestellte die Staatsgrenze, aber der Verkehr hat doch merklich abgenommen. Die Italienerinnen und Italiener, Schwestern und Patres, die nach wie vor in den kleinsten Staat der Welt kommen, tun dies nur noch, wenn es aufgrund ihrer Arbeit oder zur Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten wirklich nötig ist und auch dies nur noch unter merklicher Anspannung, mit Masken und auf Distanz zu anderen.

Eingesperrt mit 44 Hektaren Bewegungsfreiheit

Auch wir Gardisten versuchen unser Möglichstes, den Heiligen Vater Franziskus und andere Bewohner des Vatikans, die aufgrund ihres hohen Alters besonders durch das Coronavirus gefährdet sind, vor einer eventuellen Ansteckung zu schützen. Dafür haben wir unter anderem unseren Bewegungsradius freiwillig deutlich eingeschränkt, noch bevor die italienische Regierung die strengen Regeln für die eigene Bevölkerung verkündet hat. Seitdem verlassen wir den Vatikan nur noch im äussersten Notfall oder um unbedingt nötige Einkäufe zu tätigen, die hier nicht möglich sind. Gleichzeitig geniessen wir nach wie vor das Privileg, uns in den vatikanischen Gärten frei bewegen zu dürfen. Diese Möglichkeit wird rege genutzt, um Sport zu treiben oder in der angenehmen Frühlingssonne beispielsweise ein Buch zu lesen, italienisch zu lernen, zu spazieren oder zu beten.

Starke Gemeinschaft

Auch in normalen Zeiten verbringen wir Gardisten viel Zeit mit unseren Kameraden. Durch die jetzige Krise hat sich das freundschaftliche Verhältnis untereinander glücklicherweise nicht verschlechtert, ganz im Gegenteil versuchen wir momentan, uns gegenseitig zu unterstützen. Denn vor allem für diejenigen, die ausserhalb der Mauern eine Freundin haben, ist die Situation gerade nicht ganz einfach, weiss man doch nicht, wann man sich wiedersehen kann. Auch besorgte Eltern müssen auf ein Wiedersehen in der Schweizer Heimat in unbestimmter Zukunft vertröstet werden. So bleibt uns momentan einzig die Möglichkeit, im kleinen Rahmen miteinander Zeit zu verbringen.

Die Probleme in der ewigen Stadt häufen sich

Dass wir nun das eine oder andere Bier mehr innerhalb unserer Kaserne trinken und gezwungen sind, jeden Abend in unserer Mensa unter Einhaltung der obligaten Abstände zu essen, tut zwar unserer Gemeinschaft gut, sicherlich freuen sich aber auch die Wirte in Rom darauf, wenn sie ihre Lokale wieder öffnen dürfen und auch uns wieder bewirten können. Denn die wirtschaftlichen Einbussen, die die Stadt Rom – ja ganz Italien – hinnehmen muss, sind enorm. Für eine Stadt, die sich – wie Rom – zu einem grossen Teil auf den Tourismus ausgerichtet hat und in der enorm viele Arbeitsplätze davon abhängen, steht viel auf dem Spiel. Bei einem Blick aus dem Fenster schaut man auf eine scheinbar ausgestorbene Stadt, nur wenige Leute sind unterwegs, die sonstigen Blechlawinen auf den Strassen sind vollends verschwunden. Es ist ein Bild, das angesichts der normalerweise um diese Jahreszeit nach Rom strömenden Touristenmassen erschrickt. Ächzte die Infrastruktur in den letzten Jahren erheblich unter dieser Last, so stehen nun, nach nur wenigen Wochen des «Lockdowns», viele Existenzen auf dem Spiel.

Ausserordentliches für aussergewöhnliche Zeiten

Nicht nur um seine Bischofsstadt Rom, sondern um die ganze Welt macht sich der Heilige Vater grosse Sorgen. So hat er am 27. März 2020 einen ausserordentlichen «Urbi et Orbi»-Segen über die Stadt und den Erdkreis gespendet. Normalerweise wird dieser Segen nur zu Ostern, Weihnachten und am Wahltag eines neuen Papstes gespendet. Einige Gardisten haben diesen denkwürdigen Moment im Pontifikat von Papst Franziskus im Theatersaal der Schweizergarde mitverfolgt. Eingefahren sind die Bilder, die in die ganze Welt gesendet wurden und die wir in unmittelbarer Nähe des Geschehens mitgekriegt haben. Ein Mann in Weiss, Oberhaupt der universalen Kirche, steigt alleine die Stufen zum Petersdom hoch, auf einem menschenleeren Petersplatz. Ein Mann steigt die Stufen hoch, der sichtbar durch Alter und Amt gezeichnet ist, jedoch seine Hoffnung, im Gebet von Gott erhört.

Eindringlich sind die Worte, die er dazu in seiner Predigt vor dem Segen findet: «Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? (Mk 4,40)» Herr, du appellierst an uns, du appellierst an den Glauben. Nicht nur an den Glauben, dass es dich gibt, sondern an den Glauben, der uns vertrauensvoll zu dir kommen lässt. (…) Von diesen Kolonnaden aus, die Rom und die Welt umarmen, komme der Segen Gottes wie eine tröstende Umarmung auf euch herab. Herr, segne die Welt, schenke Gesundheit den Körpern und den Herzen Trost. Du möchtest, dass wir keine Angst haben; doch unser Glaube ist schwach und wir fürchten uns. (…) Sag zu uns noch einmal: «Fürchtet euch nicht (Mit 28,5).»

Konnten wir auch in diesem Moment nicht physisch auf dem Platz vor der Peters-Basilika präsent sein, so waren wir doch im Gebet mit dem Heiligen Vater Franziskus verbunden, im Gedenken an die Verstorbenen, zur Stärkung der Verzweifelten, Hinterbliebenen und Kranken sowie in der inständigen Bitte, dass diese Krankheit vom Antlitz der Welt verschwinden möge. Möge der gespendete Segen nicht nur die Sünden hinwegnehmen, sondern auch körperliche und seelische Gesundheit mit sich bringen!