Der achte Bundesrat im Freulerpalast

Zum 175-Jahr-Jubiläum der Bundesverfassung stellte Bundeskanzler Walter Thurnherr zum Thema «Das Land unserer Vorfahren und das Land unserer Nachfahren» einige persönliche Beobachtungen zur Zeitenwende von 1848 vor.



Der achte Bundesrat im Freulerpalast

Spätestens seit der Maturafeier 2023 sei Walter Thurnherr als eloquenter Redner bekannt. Mit dieser Feststellung begrüsst Martin Laupper den Physiker und Diplomaten, der per Ende 2023 von seinem Amt zurücktreten wird. Ausserdem durfte er die Berner Politiker Mathias Zopfi, Thomas Hefti, Martin Landolt, die Landratspräsidentin Regula Keller und Gemeindepräsident Thomas Kistler, sowie ca. 70 Besucher/-innen willkommen heissen.

Häufige Zeitenwenden

Im Gegensatz zu anderen «Zeitenwenden», die häufig von jenen bemüht würden, «die von ihnen überrollt werden», sei nach Einschätzung Walter Thurnherrs die in nur 51 Tagen und nur an 31 Sitzungen erarbeitete Bundesverfassung für die Schweiz vor 175 Jahren in einem «Prozess bewusster Versöhnung» eine solide Basis für wirkliche Veränderungen gewesen. Während man rund um die Schweiz damals mit blutigen Attentaten und Revolutionen Politik machte, habe man mit der Bundesverfassung eine ausgewogene wirtschaftliche und politische Entwicklung ermöglicht. Die 187 Revisionen, mit denen die Verfassung seither angepasst wurde, seien als Zeichen des politischen Konsens zu verstehen.

Zuschauen reicht nicht

Thurnherr verglich die heutige Polit-Situation mit der Kubakrise. Damals habe sich der Bundesrat zweimal als passiver Zuschauer zur knapp abgewendeten Weltkrise geäussert. Heute würde diese Zuschauer-Rolle nicht mehr reichen, wie man an der Coronakrise oder am Ukrainekrieg erkenne – die Reaktion unserer Vorfahren könne darum nicht jene unserer Nachfahren sein.

Unterschriften statt Sprengstoff

Walter Thurnherr strich die Zutaten des Erfolgsmodells Schweiz hervor. Das seien die «Rücksicht auf Minderheiten», etwa von Abstimmungs-Gewinnern, ausreichend Geduld im politischen Prozess und breit abgestützte politische Prozesse. 1848 hätten Ulrich Ochsenbein und seine Mitstreiter auf diese Faktoren gebaut, während heute verschiedene politische Exponenten in hohen Positionen Spaltung und Aggression einsetzten. Thurnherr drückte diese Position mit der griffigen Formel «Unterschriften sammeln statt Sprengstoff legen» aus.

Grosse Unterschiede

Thurnherr zeigte, was die Schweiz seit 1848 von vielen Ländern unterscheidet. Er verwies auf Pionierleistungen, etwa Ingenieurs-Leistungen wie Bergbahnen oder Tunnelbau, die Gründung von Banken, die Erschliessung des Landes durch die Eisenbahn, einen breiten sozialen und geografischen Ausgleich, z.B. durch den Finanzausgleich. Dank diesem Netz produziere man in der Schweiz weniger Verlierer als etwa in den USA oder Grossbritannien, wo man bis heute Verarmung, gesellschaftliche Spaltung oder das «Abhängen» ganzer Regionen erdauern müsse.

Wie verletzlich unsere Demokratie sei, zeigt der Bundeskanzler mit einem Zitat Ronald Reagans auf, wonach «Facts are stupid things» 1) seien. Demgegenüber zeigte er anhand Winston Churchills «make history instad of news» 2) Unterschiede zwischen Schaumschlagen und echtem Fortschritt auf.

1) «Fakten sind stumpfsinnige Dinge»
2) Schreib Geschichte,keine Nachrichten»!

Erfolgsrezepte für die Schweiz

Der Bundeskanzler entliess seine Zuhörer/-innen mit drei Erfolgsrezepten für die Schweiz in den föhnigen Abend: 1. Das Verhältnis zum Ausland regeln; 2. Die verletzliche Demokratie aktiv pflegen und 3. Innovativ bleiben, die Zukunft in die Hand nehmen. Damit gestärkt verteilten sich die Besucher/-innen mit einem klareren Blick auf «das Land unserer Nachfahren» als vor Walter Thurnherrs Vortrag auf ein gepflegtes Nachtessen mit ihm als Gast – oder in die eigenen vier Wände.