Der Delfin in der Hängematte – Buchbesprechung III

Als das Buch mit dem obigen Titel entstand, war die Autorin Valentina gerade mal elf Jahre alt. Das Mädchen schildert sein abenteuerliches Leben mit Leonardo, ihrem autistischen achtjährigen Bruder. Es wird auf beeindruckende, bewegende Art spürbar, was ihm das Schreiben bedeutet. Wörtlich ist erwähnt: «Sie mag es, sich Gedanken zu machen. Abzutauchen in die Welt, in der ihr Bruder lebt. Es ist eine andere als ihre. Valentina sagt, dass das Schreiben ihr Türen öffnet.



3. Buchbesprechung (peter meier)
3. Buchbesprechung (peter meier)

Und dass sie sich, wenn diese offen sind, frei fühlt wie ein Vogel. Oft will sie deshalb gar nicht mehr aufhören zu schreiben». Valentina möchte, dass die Menschen mehr über Autismus erfahren, weil sie nur dann mehr Verständnis für Autisten erhalten. Sie merkt an: «Das Leben mit Leonardo ist zwar wirklich anstrengend. Aber es macht auch sehr viel Spass.»

All ihr Empfinden und Erleben gliedert sie in viele kurze Kapitel. Sie schildert beeindruckend aufrichtig, einfühlend. Ihren Bruder nennt sie gerne Rockstar, weil er so speziell ist und weil er seinen Kopf gern an die Wand schlägt, wenn ihm etwas nicht passt. Leonardo nimmt die Welt anders wahr als andere Menschen. Alles ist für ihn greller, lauter, stärker, kratziger. Wird das für ihn zu viel, zieht er sich in seine eigene, innere Welt zurück. Valentina hat Zugang zu ihr. Sie schreibt in diesem Zusammenhang beispielsweise über einen Bach, der ruhig fliesst, über Schmetterlinge, die bei sanfter Musik umherfliegen.

Anfänglich wusste niemand, dass Leonardo ein Autist ist. Valentina erinnert sich zurück. Er habe viel geschlafen und fast nie geweint. Irgendwann einmal hörte Leonardo auf, richtig zu atmen. Er kam ins Krankenhaus. Damit begann seine Reise, auf die er alle mitnahm. Valentina erwähnt beispielsweise, dass er sich als Baby nicht vom Bauch auf den Rücken drehen konnte. Stehen konnte er erst dank zahlreichen Therapiestunden. So viel Neues kam auf ihn zu. Therapeutinnen zeigten auf, was zu ändern, zu erlernen war. Pro Woche – so Valentina – hätten die Therapien 35 Stunden gedauert.

Dann begann die Vorschule. Mit Leonardo wurde das Anziehen geübt. Es wurde ihm gezeigt, wie man Seifenblasen macht, Musik im Dunkeln hört, welche Geräusche in der Natur zu vernehmen sind, also wie beispielsweise Vögel pfiffen oder die Blätter im Wind rauschten.
Valentina erwähnt, dass Leonardo alles verstanden habe, dass er aber nur mitmachte, wenn er wollte. Verständnisvoll und einfühlend schildert sie seine Eigenheiten. Die Überschriften der einzelnen Kapitel zeugen davon: «Traktorengeknatter», «Der Bär am Honigtopf», «Spaghetti im Darm», «Flucht unter den Tisch», «Forschergeist», «Wellen fangen», «Mit Köpfchen zum Schokoladekuchen», «Rote Ballone in Island».

Valentina ist eine ungemein verständnisvoll, liebenswürdig und einfühlend Betrachtende. Sie zeigt hohe Anteilnahme. Sie befasst sich mit fast zahllosen Eigenheiten und Auffälligkeiten ihres Bruders. Leonardo ist beispielsweise riesig neugierig. Er durchwühlt Schubladen, wirft weg, was ihm nicht gefällt, will alles herausnehmen. Deshalb hat Valentina ihr Zimmer abgeschlossen. Sie schildert, wie ein verschluckter Ehering wieder zum Vorschein kam, wie es geht, wenn er sich an lärmigen Orten aufhält, wie es rauskommt, wenn er sich mitteilen will, wie es um Tischmanieren steht.
Besonders aktiv werde er bei Vollmond. In solchen Phasen könne er kaum schlafen, stehe mitten in der Nacht auf, wolle spielen oder wünsche irgendeine Unterhaltung. Sie schreibt über Ferien, übers Schwimmen im Meer, aufzeigend, wie stur und bockig Leonardo in gewissen Momenten sein kann.

Sie schliesst ihr Schildern mit berührender Offenheit: «Leonardo ist mein Bruder, und ich liebe ihn. Er ist mein Freund, mein Unterhalter und mein Sonnenschein. Ich kann ihm Dinge anvertrauen, die sonst niemand weiss. Und obwohl es mit ihm anstrengend ist und manchmal richtig nervt: Das Leben mit ihm macht Spass und ist immer etwas Besonderes – genau wie er selber».

Valentina dankt allen, die Geduld und Verständnis haben, sie schliesst die Therapeutinnen, Leonardos Lehrerinnen, die Nannys und ihre besten Freundinnen mit ein. Sie dankt ihrer superlieben Mama, die bei der Entstehung des Buches – wie viele andere auch – mitgeholfen hat. Und sie dankt Leonardo, dass er ihr Bruder ist und sich gerade ihre Familie ausgesucht hat.