Der Glückspilz

In Tagebüchern gibt es nicht immer Lustiges und Interessantes zu berichten. So auch in meinem Seoul-Tagebuch Episode 5.



Meine Aussicht aus dem Zimmer im 21. Stock. (Bilder: m.c.mächler) Mein Zimmer 112.
Meine Aussicht aus dem Zimmer im 21. Stock. (Bilder: m.c.mächler) Mein Zimmer 112.

Es war der 30. Dezember 2015. Mich plagten seit ein paar Tagen Nacken- und Schulterschmerzen. Ich führte es daraufhin zurück, dass ich in den letzten Tagen zu lange vor dem PC gesessen war und mich zu wenig bewegt hatte. Am Frühstückstisch diskutierten meine Frau und ich, ob ich zum Arzt gehen sollte oder nicht. Ich war unschlüssig. Schliesslich war es nicht das erste Mal und bis jetzt hatte ich diese Schmerzen immer mit Einreiben einer Salbe weggebracht. Doch aus irgendeinem Grund entschied ich mich, doch den Arzt aufzusuchen. So rief ich an und bekam noch einen Termin am gleichen Morgen. Wer hätte in diesem Augenblick gedacht, dass ich knapp 24 Stunden später auf dem OP-Tisch lande und am Herzen operiert würde.

Eine schier unglaubliche Geschichte
!

Da ich zum erstem Mal bei dieser Ärztin an der Uni-Klinik in Seoul war, wurden noch einige andere Untersuchungen gemacht: Bluttest, EKG und eine ganze Reihe von Röntgenbilder. Und diese Untersuchungen waren eigentlich sehr amüsant. Eine junge Koreanerin begleitete uns zu den verschiedenen Stationen in diesem riesigen Gebäude. Zuerst ging es zum Bluttest. Es sah aus wie früher bei der Post. 10 Schalter nebeneinander und hinter jedem Schalter eine Krankenschwester, die nur darauf wartete, an dein Blut zu kommen. Also: Nummer ziehen, warten, Nummer wurde angezeigt, hinsetzen, Arm freimachen, stechen lassen, Blut aussaugen, Pflaster drauf, der Nächste bitte.

Dasselbe beim EKG. Da waren wieder viele Kabinen. Und wieder hiess es, Nummer ziehen, warten, hinlegen, fertig, der Nächste bitte. Dann noch die letzte Station, das Röntgen. Wieder viele Räume, wieder Nummer ziehen, wieder warten, dann hineingehen, Klamotten ausziehen, andere Klamotten anziehen, klick, klick, klick, und schon waren viele Aufnahmen im Kasten.

Das Interessante an diesem System ist, es funktionierte reibungslos und die Resultate werden direkt zum behandelnden Arzt gesendet, der es nur noch auf seinem Monitor abrufen muss.

Und tatsächlich fand man den wahrscheinlichen Grund für meine Schmerzen. Eine Veränderung am Halswirbel wurde festgestellt. An der Besprechung der Ergebnisse stellte die Ärztin noch einige Fragen und meinte dann plötzlich, als sie sich die Blutwerte angeschaut hatte, dass ihr etwas nicht so recht gefalle. Einen Wert, der einfach nicht ins Gesamtbild passte. Sie würde gerne den Kardiologen zu Rate ziehen. Da stutze ich zum ersten Mal. Kardiologe? Das hat doch etwas mit dem Herzen zu tun. So schickte sie mich zum Kardiologen, der sich im selben Gebäude der Uni-Klinik befand.

Von der Diagnose und dem Entschluss, wie es nun weiter gehen sollte, dauerte es nicht lange. Und dieser Entschluss würde mein Leben verändern.

Zwei Herzarterien waren verstopft, vermutlich von einer Erbkrankheit. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie irgendwelche Beschwerden, die das Herz betreffen. So war die Diagnose für mich sehr überraschend. Doch es musste schnell gehandelt werden. Es war wie eine Zeitbombe, bei der man den Augenblick nicht kennt, wann sie losgeht.

So wurde ich sofort hospitalisiert und da wusste ich, dass irgendetwas definitiv nicht stimmen konnte. Aber ich fühlte mich trotz der Diagnose gut und war auch sehr zuversichtlich.

Auf dem Zimmer im 22. Stock, übrigens mit einer herrlichen Aussicht, steckte man mich in ein Pyjama der Marke KHU (Korean Hospital Uniform). Das sah wirklich komisch aus. Nun, was soll`s. Schliesslich war ich nicht an einer Modeschau.

Der Rest ist schnell erzählt. Am nächsten Morgen um 09.30 Uhr wurde ich in den OP geschoben und der Professor persönlich kümmerte sich um mich und setzte mir in einer 90-minütigen Prozedur zwei Stents (Metallröhrchen) ein.

So verbrachte ich also den Silvester 2015 im OP der Uni-Klinik in Seoul und auf der Intensivstation.

Erst nach und nach wurde mir klar, wie viel Glück ich hatte. Hätte ich keine Rückenschmerzen bekommen, wäre ich nicht zum Arzt gegangen. Und man hätte auch nicht die Anomalität in meinem Blut entdeckt. Wer weiss, wie lange mein Herz diese Belastung noch ausgehalten hätte.

48 Stunden nach der OP war ich schon wieder zu Hause. Ich fühle mich sehr wohl und bin dankbar, das alle Schutzengel, die gerade nichts zu tun hatten, auf mich aufgepasst haben.