Der kleine, aber feine Unterschied

Aneong-asseyo. Das ist die übliche Begrüssung in Südkorea. Es heisst so viel wie «Guten Tag» oder «Hallo». Man verwendet es vom frühen Morgen bis am späteren Abend. Also eigentlich immer.



Neues aus Seoul von Martin Carl Mächler. (Bilder: m.c.mächler)
Neues aus Seoul von Martin Carl Mächler. (Bilder: m.c.mächler)

Bei der Begrüssung verneigt man sich leicht vor dem Gegenüber. Da gibt es aber bereits Unterschiede. Trifft man jemanden zum ersten Mal, streckt man ihm seine Visitenkarte entgegen. Und meistens bekommt man auch eine zugestreckt. Nun gilt es diese Karte genau zu studieren. Auch wenn man kein Wort, das darauf geschrieben steht, lesen kann. Das gebietet die Höflichkeit. Weiss man aber, dass dein Gegenüber dir höher gestellt ist, verneigt man sich tiefer. Zum Beispiel Angestellte ihrem Chef gegenüber. Es ist für uns Europäer eher gewöhnungsbedürftig. Wenn zum Beispiel die Wächter unseres Hauses angerannt kommen und sich jedes Mal vor uns verbeugen, die Tür öffnen oder uns die Einkaufstaschen bis zur Haustüre tragen. Doch das ist ihre Kultur.

Mir ist in diesen sieben Monaten in Seoul auch aufgefallen, dass der Respekt den Mitmenschen gegenüber recht gross ist. Egal ob man einem Unbekannten auf der Strasse begegnet oder Menschen, die man schon kennt. Man geht höflich und respektvoll miteinander um. Eine Tugend, die ich in der Schweiz manchmal vermisse. Sei es auf der Strasse, in einem Supermarkt oder in Restaurants. Stösst man mit jemandem zusammen, und das ist bei dem Gedränge in der Stadt nicht so selten, verneigt man sich kurz und entschuldigt sich. Hier in der Schweiz, oder generell in Europa, bekommt man oft einen bösen Blick.

Das sind jetzt nur kleine Beispiele, die aber einen Unterschied zur Lebensweise und derer Kultur ausmachen. Viele Menschen, die nicht in dieser Kultur leben, finden ein solches Verhalten oft übertrieben.

Da ich zurzeit im Glarnerland weile, fallen mir solche Dinge mehr auf. Und ich bin der Meinung, jeder hat Respekt verdient. Ob mir nun sein Gesicht gefällt oder nicht. Nun, ich will und kann nicht sagen, dass die Menschen hier im Glarnerland nicht höflich und respektvoll wären. Im Gegenteil. Im Vergleich zu anderen Orten in der Schweiz, speziell in grösseren Städten, fühlt man sich hier wohl. Man begrüsst sich auf der Strasse, man bekommt oft ein Lächeln, auch wenn man sich nicht kennt. Das hat sicher auch mit der Grösse des Kantons oder den Gemeinden zu tun. Man kennt sich eben. Doch ich frage mich, warum funktioniert das nicht überall? Was verliere ich schon, wenn ich höflich bin? Was verliere ich schon, wenn ich jemandem ein Missgeschick verzeihe?

Man kann sich aber auch eine andere Frage stellen: Ist diese Höflichkeit, die in asiatischen Ländern üblich ist, immer ehrlich? Ich weiss es nicht. Doch mein Gefühl sagt mir, dass Höflichkeit oft nur gespielt ist. Doch was macht es für einen Unterschied. Ich denke keinen. Nicht jeder mag das Gesicht seines Gegenübers. Doch auch er hat Respekt verdient.

Natürlich kann man das Glarnerland nicht so gut mit Seoul vergleichen. Doch bei einigen Punkten spielt es keine Rolle, wo oder wer man ist. Das Leben ist so oder so nicht immer so einfach. Versuchen wir doch einander das Leben zu erleichtern.

Der Titel dieser Episode heisst «Der kleine, aber feine Unterschied». Es braucht nicht viel, um einen Unterschied zu machen. Tun wir es einfach. Es kostet nichts und man bekommt viel.