Der kubanische Käser aus dem Toggenburg Lesung und Jodel im Wortreich Glarus

Wer das Wagnis eingeht, auf eine gar besondere Reise mitgenommen zu werden, erwirbt sich das von Patrick Tschan geschriebene Buch «Der kubanische Käser». Dessen überbordende Fülle an Unglaublichem, Unerwartetem, Exotischem, dann wieder Heimatverbundenem ist ebenso verrückt wie entrückt. Man ist eingeladen, sich mit einem «Lebenslauf», historischen Begebenheiten, Glanz und Glamour um 1600 zu befassen, dessen Zusammenfassung es so wohl noch nie gegeben hat. Der Einstieg samt Weiterführendem war unlängst im Wortreich angeboten. Patrick Tschan las, Ursina Gregori und Doris Hintermann jodelten drauflos.



Der kubanische Käser aus dem Toggenburg Lesung und Jodel im Wortreich Glarus

Es kam zu einer szenischen Lesung mit clever gesetzten Höhepunkten. Patrick Tschan gliederte gar geschickt, liess beste Kurzweil aufkommen. Die beiden Damen mischten das literarisch Vorgegebene mit ihren herzhaften Kurzauftritten charmant, dezidiert und stimmungsstark auf, ab reinem Jodel, beschwörendem Ave Maria, Heimwehträchtigem, Flamencoelementen, lieblichem Flirten, Beschwören, sackstarkem Fordern auf Erhöhung des Verkaufspreises von echtem Hartkäse aus dem Toggenburg. Die Vermischung war beste Unterhaltung.

Patrick Tschan entführt in eine Welt, deren Inhalte man auch mit aufmerksamstem Studium kaum hundertprozentig erfassen kann. Was für Noldi Abderhalden nach einer bitterkalten, alkoholgeschwängerten Nacht und Anwerbung als Söldner im Jahre 1620 im Toggenburg begann – nach heimwehbedingter kurzer, zu überstürzter Rückkehr in jene, seine Heimat führte, die er exakt zehn Jahre, drei Monate und zwei Tage nicht mehr gesehen hatte – wie er wieder nach Kuba gelangte; damit seiner Consuelo; der Goldmine, die als exzellenter Käsekeller für beste Produkte diente; Käse auf der Basis von Kuh- und Ziegenmilch produziert, war unglaublich, himmelschreiend tragisch, von allen Leidenschaften dieser Welt erfüllt. Man muss nicht alles begriffen haben, um nachvollziehen zu können, wie es dem Noldi erging in seiner kaum einmal endenden «Sturm und Drang-Zeit», seinem Liebesleben, dem übertriebenen Erzählen. Dem leidenschaftlichen Forschen nach bestem Käse. Und dank literarischem Reichtum des Patrick Tschan gab es kaum einmal Zeit zum Innehalten in diesem Ablauf aller so munter-wirbligen Fakten.

Alles beginnt so, wie es schon manchem ergangen ist. Nach übermässigem Bechern erwacht der mit 16 Jahren noch gar jugendliche Noldi mit einem riesigen Kater. Das logische Denken ist total auf der Strecke geblieben – ansonsten er wohl im Toggenburg geblieben wäre – und es gar nicht zu dieser Geschichte gekommen wäre.

Er, der Natur- und Bauernverbundene mit übergrossem Sehnsuchtspotenzial, wird umgarnt, gerät in fremde Kriegsdienste, leidet, liebt und kämpft für die Spanier. Tschan sorgt bildhaft stark und – eben wortreich – dafür, dass man dieses wilde Leben, das Ungezügelte, dieses Wirbeln, Verunglimpfen, Fluchen, Draufloslieben und Saufen, alle Leidenschaften eines Söldners (zuweilen fern jeglicher Logik und Wahrheit) erfassen lernt. Der Noldi ist schon ein gar besonderer Söldner, rettet er doch mit dem weltweit kühnsten und weitesten aller Sprünge, die ein Toggenburger – und sonst gar niemand auf diesem Erdenrund – je hingekriegt hat, seinen Kommandanten das Leben. Er fängt nämlich jene Kanonenkugel mit sicherer Hand auf, die in Richtung seines Vorgesetzten in hohem Tempo unterwegs war und den voll erwischt hätte. Der Kriegsheld – und diese Ernennung ist ihm nicht mehr zu nehmen – wird als Dank im spanischen Hof aufgenommen. Da geht es nicht so zu und her, wie es dieser Fünf-Stern-Kämpfer verdient hätte. Das ist nun mehr als eine Achterbahn. Der Inquisition entrinnt er – als Antichrist abgestempelt, ganz knapp. Er wird verbannt – und dies nach Kuba.

Nun wird es für Noldi sehr, sehr langweilig, ereignislos, nerventötend blöd. Einziger Auftrag war, irgendwelche Rindviecher zu hüten, die Vermehrung der Vierbeiner mit geeigneten Massnahmen anzukurbeln, einige Tiere zu schlachten und das Fleisch den wackeren spanischen Seefahrern und Reisenden auf die mehrmonatige Überfahrt mitzugeben. Aber das widersteht dem wackeren ehemaligen Soldaten gewaltig. Er entsinnt sich seiner früheren Begabungen – auch Leidenschaften – aus dem Toggenburg – da war doch was mit Käse! Den könnte man ja entwickeln, dann produzieren und schlussendlich kostenwirksam verkaufen. Es ist ein ganz weiter Weg, den der Noldi bis hin zum erfolgreichen Unternehmer zu beschreiten beginnt. Zuerst klappt es gar nicht nach Noldis hohen Erwartungen. Der Käse ist viel zu fad. Zum Glück sind da umfunktionierte Goldminen, leidenschaftliche Consuelo, abgelaufener Söldnervertrag, kubanische Kräuter und kecke Ziegen mit bester Milchqualität, die sich mit Noldis Kühen bestens vertragen und oft auf Besuch weilen.

Der kurze Trip in die ehemalige Heimat samt Besuch und Kurzunterhaltung mit seiner Jugendliebe ist ein Flop erster Güte. Sofort kehrt er nach Kuba zurück zu Consuelo, die er elend liebgewonnen hat, die sogar jodeln kann und bei der Käseproduktion samt Absatzkünsten einiges mitzureden hat. Schliesslich hat sie zur edelsten aller nationensprengenden Käsesorten einiges beigetragen.

Es ist ein echtes Happyend, das sich nach der Rückkehr ab Chäserrugg anbahnt. Noldi findet nicht das vor, was er sich angeträumt hat. So formt er mit seinen Händen einen Trichter und jodelt was das Zeug hält. Die melodische, ergreifende Antwort kam – ob man es nun glaubt oder nicht – gut hörbar zurück. Noldi habe – so ist es auf den letzten der insgesamt 185 Seiten nachzulesen – die Beine in die Hand genommen, sei ins Tal, dann über den San Bernardino nach Genua gestürmt, habe sich eingeschifft, den Atlantik überquert und sei fünf Monate später in Santa Lucia angekommen. Er habe geschworen, Consuelo nie mehr loszulassen.

Das weite Meer aller Leidenschaften; der Dreissigjährige Krieg; der Unterschied zwischen spanischen und österreichischen Habsburgern; die Heidi, die Noldi einst so schmählich verlassen hatte und nach Paris zog; Muh und Mäh in Kuba; das wutentbrannte Babettli, das dem Noldi eine saftige Ohrfeige verpasst; Noldis Erkenntnis, dass Consuelo zu ihm auf ewig gehöre – Patrick Tschan hat das alles in enorm munterer Art und kenntnisreich ineinander verwoben, die Gesangseinlagen von Ursina Gregori und Doris Hintermann als «Tüpfelchen auf dem i» – was will man mehr?