Der Mann im Park

Er sass auf einer Bank. Mittleren Alters, gekleidet in einen teuren Designeranzug.

Den Blick verloren in der Ferne. Starr. Etwas Melancholisches zeichnete seine Gesichtszüge. Um in herum war lautes Leben.


Ich beobachtete ihn. Er war mir aufgefallen. Nicht weil er in all dem Leben verloren wirkte, nein, es war etwas Anderes, schwer definierbares. Etwas fragendes, gleichzeitig traurig verträumtes. Ich sah ihn an und fragte mich, was in ihm vorging. Dachte er daran, nicht hier zu sitzen? Auf dieser Parkbank, an diesem Ort, in diesem Leben? Während ich ihn fokussierte, wurde es ganz still um mich herum.

Hatte er nicht immer etwas anderes gewollt? In seinen jungen Jahren. Getrieben von Enthusiasmus, die ganze Welt vor sich ausgebreitet. Er wollte sie verändern, diese Welt. Sie besser machen. Frei von Unterdrückung, Armut und Hunger. Während der Studienzeit ging er dafür auf die Strasse. Nächtelang hat er mit Freunden über die ideale Welt geredet. Diskutiert, gestritten, seine Vorstellungen verteidigt. Er hat all die Bücher gelesen, die man damals las. Kant, Nietzsche, Marx, Engels, Huxley, Castaneda. Erstaunt stellt er fest, dass er sich gar nicht mehr an alle „seine“ Schriftsteller erinnern kann.
Wo ist der Mensch, dessen Leben er lebte. Dieser idealistische, kreative, an allem interessierte und mutige junge Mann, der er war und zu bleiben glaubte.
Irgendwann, zwischen den Jahren, ist er ihm abhanden gekommen. Verloren gegangen, wie ein Lieblingsschal, den man irgendwo liegengelassen hat. Ihn wohl schmerzlich vermisst, am Anfang, aber mit der Zeit lernt ohne ihn zu leben.
Mit dem vermeintlichen Ernst des Lebens, schwanden die Visionen. Aus ihm wurde ein Geschäftsmann, korrekt, im Anzug und mit Aktenkoffer. Eingebunden in ein verantwortungsvolles Dasein. Einer unter Tausenden. Auf der täglichen Jagd nach dem ultimativen Deal. Die Spirale drehte sich. Je mehr er verdiente, umso grösser der Druck, das Erschaffene zu erhalten. Langsam ist er gestorben, abgestorben.
Eine Marionette, funktionierend, Erwartungen der Umwelt erfüllend. Bis zu diesem Tag. Im Park. Auf der Bank. Etwas hat ihn dazu gebracht innezuhalten. Er weiss nicht was es war. Vielleicht ein Geruch, eine Farbe oder ein Ton. Es ist auch nicht wichtig, was ihn in die Zeit zurück gebracht hat. Wichtig ist dieses Gefühl, welches ihn jetzt beherrscht. Die Träume, die zurückgekehrt sind.
Die Erkenntnis, dass es noch nicht zu späht ist, sein Leben wieder zu spüren, sein Leben zu leben. Das Wissen, dass es nicht die Welt ist, die man verändern muss, nur sein Selbst.

War es dies, was in seinem Kopf vorging? Oder diente dieser Mensch mir als Leinwand, auf welche ich meine eigenen Gedanken projizierte?
Ich fragte ihn nicht. Er war irgendwann aufgestanden. Sein Blick wurde wieder lebendig. Er nahm seine Aktentasche und ging weg. Die Mittagspause war wohl zu Ende.