Der Weg der Toten

Einmal im Jahr, auf seinem Höhepunkt im späten Frühjahr, feiern wir das Fest Himmelfahrt. Bereits bei Rembrandt hat das Geschehen Bühnencharakter: Der in weisse Gewänder gekleidete Christus steht auf einer Wolke, an die sich in kindlicher Freude eine ganze Traube von Putten hängt. Welch falsch inszenierte Glaubenswelt! Eine Wolke dient als Hebebühne, vom Maler theatralisch beleuchtet. Im Parterre staunendes Publikum.



Rembrandt, Himmelfahrt Christi, 1636 Quelle:https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/67/Rembrandt_The_Ascension_1636_Oil_on_canvas_Alte_Pinakothek_Munich_Germany.jpg
Rembrandt, Himmelfahrt Christi, 1636 Quelle:https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/67/Rembrandt_The_Ascension_1636_Oil_on_canvas_Alte_Pinakothek_Munich_Germany.jpg

Im populären Kinofilm erleben solche Inszenierungsräume eine erstaunliche Revitalisierung. Hierbei verkauft sich nur das gut, was dem Zeitgeist und der Mentalität der Massen entspricht. Interessant ist, dass hierzu ausgerechnet seit den 1990er-Jahren der Themenkomplex «Tod und Auferstehung» zählt. Und so leben im Kinofilm alle existenziellen Fragen über den Weg der Toten neu auf: Wer geht wo hin? Was war vorher und was kommt danach? Bleiben Tote auf der Erde als Geister zurück? Wie geht es ihnen? Und wie könnte man mit ihnen kommunizieren?

Der Actionthriller Matrix I (USA 1999, Regie Andy und Larry Wachowski) reinszeniert die ganze Vita Jesu mit Tod, Auferstehung und Himmelfahrt und durchmischt sie mit buddhistischen Motiven. Der Actionheld Neo erscheint in der Lichtgestalt des Verklärten, wird durch die Liebe einer Frau Trinity auferweckt, erweist gewalttätig seine Vollmacht im Sieg über das Böse, durchbricht mit seiner mentalen Kraft die Naturgesetze und steigt schliesslich in Superman-Manier in den Himmel auf.

Das Medium Film gleicht den Verlust an spiritueller Kraft aufseiten der historischen Grosskirchen dadurch aus, dass es intensive religiöse Erlebnisräume bereitstellt: Es bietet, so die Kieler Theologieprofessorin Sabine Bobert, «ein erlebnisintensives Spiel mit religiösen Anschauungen seit dem gesellschaftlichen Zurücktreten der Normierung des Religiösen durch regelnde Institutionen wie Kirchen».

Mit Himmelfahrt verbindet sich heutzutage mehr eine grosse Verlegenheit als grosse Festfreude. Wer versteht Himmelfahrt? Für die Inszenierung von Kino-Actionhelden ist die christliche Ikonographie des auferstandenen Christus als verklärte Lichtgestalt mit göttlicher Macht aber anscheinend immer noch plausibel. Jedenfalls stecken im dornröschengleichen Kuss Trinitys auferweckende Kräfte.

Wohl kein Zufall: Jesus und die Evangelisten waren grossartige Geschichtenerzähler. Die heutigen Geschichtenerzähler sind Romanautoren, Verleger, Dichter, Musiker, Drehbuchautoren und Filmemacher. Ich wünsche Ihnen ein erlebnisintensives Auffahrtsfest.

Ihr Pfarrer Peter Hofmann, Schwanden