Der Weg in die Fremde Wien, Teil 2

Eigentlich sollte hier die Überschrift «Riesenrad und Wienerschnitzel» stehen. Doch ich habe mich anders entschieden. Das Riesenrad ist etwas für Touristen und Wienerschnitzel sind überall beliebt. Schliesslich war ich hier kein Tourist. Es war der dritte Tag nach unserer Ankunft.



Martin Carl Mächler erzählt in verschiedenen Geschichten von seinen Erlebnissen in der Fremde (Bild: zvg)
Martin Carl Mächler erzählt in verschiedenen Geschichten von seinen Erlebnissen in der Fremde (Bild: zvg)

Meine Frau musste zur Arbeit. Und ich? Ja, das war nun die grosse Frage. Ich musste ja nicht zur Arbeit. Heute nicht, morgen nicht und überhaupt. Ein etwas eigenartiges Gefühl. So zog es mich am späteren Vormittag hinaus. Ich setzte mich in der Nähe des Stephansdomes in ein Strassen-Café und bestellte mir einen grossen Braunen. Das ist ganz einfach eine grosse Tasse Milchkaffee. Das macht man hier so. Habe ich schon in kürzester Zeit gelernt.

So sass ich also da und beobachtete die vielen Menschen, die an mir vorbeizogen. Die einen gingen vielleicht zur Arbeit, die anderen kamen vielleicht von der Arbeit. Ich wusste es nicht. Aber eines wusste ich in diesem Augenblick. Es ist sehr angenehm, anderen zu zuschauen wie sie vielleicht zur Arbeit gingen oder vielleicht von der Arbeit kamen und selbst musste man nicht zur Arbeit. Kein Chef, der nervt. Keine Stechuhr, die unerbittlich jede Minute Verspätung registriert.

Die ersten Tage und vielleicht noch Wochen war dieser Umstand sehr angenehm. Doch langsam schlich sich bei mir der Verdacht ein, dass es mir mit der Zeit langweilig werden könnte. So beschloss ich, wieder einer Tätigkeit nachzugehen. Aber das Schöne daran war nach wie vor, ich musste nicht. Ich durfte.

Eine Zeit lang war ich Manager einer Bar, die mitten im Zentrum lag. Da gab es einiges zu erleben. Doch es ist wohl besser, wenn ich hier an dieser Stelle nicht allzu viel ausplaudere.

Auch engagierte ich mich fleissig im Schweizer Schützenverein von Wien. Da durften wir viele schöne und spannende Stunden erleben. Und jedes Jahr gab es ein schützenmässiges Kräftemessen mit dem österreichischen Bundesheer. Das war immer eine ganz tolle Veranstaltung mit vielen Besuchern und hochrangigen Ehrengästen. Und es kam wie es kommen musste: Im dritten Jahr in Wien wurde ich Schützenkönig. Eine grosse Ehre. So quasi als Nachfolger von Wilhelm Tell auf der Bühne zu stehen.

Ein Glarner, der das österreichische Bundesheer geschlagen hatte. Das stellte die leckeren Wienerschnitzel weit in den Hintergrund. Aber auch sonst gab es genug zu tun. Auch, wenn man nicht mehr musste.

Es war auch ganz interessant, die Wiener selbst kennen zu lernen. Obwohl es ja nicht weit weg ist, wurde uns schon bald bewusst, es ist eine andere Kultur und auch eine andere Sprache. Nun denken Sie, warum eine andere Sprache? In Wien spricht man doch deutsch? Falsch. Hier spricht man wienerisch. Und dass dies nicht immer so einfach war, zeigte sich in ganz alltäglichen Situationen. Ein kleines Beispiel war das Einkaufen.

Tomaten heissen Paradeiser, Blumenkohl nennt man Karfiol, der Lungenbraten war nichts anderes als ein Schweinefilet. Und wollte man sich an einem der vielen Imbissständen ein Käsewürstchen kaufen, bestellte man eine «Eitrige» mit süssem Senf und dazu eine Hülse oder ein Ottakringer Blech. Was nichts anderes war als Bier in der Flasche oder in der Aludose.

Es gäbe noch so viel zu erzählen, doch das würde an dieser Stelle zu lange dauern.
So vergingen die Monate und Jahre. Kaum hatten wir uns an Wien gewöhnt, stellte sich die Frage, wohin geht es als Nächstes?

Einige Monate vor der Versetzung wurde uns mitgeteilt, dass wir uns nach San Francisco begeben mussten. Wow. San Francisco. Das war unser erster Gedanke. Die Aufregung wuchs von Tag zu Tag. Wer wünschte sich das nicht! Mal für einige Zeit in Amerika und noch dazu in San Francisco zu leben und zu arbeiten.

Die einzige Sorge, die ich zu diesem Zeitpunkt hatte, waren meine Englisch-Kenntnisse. Die waren damals noch mehr als dürftig. So besuchte ich mit einem Kollegen der Botschaft einen Englisch-Kurs. Wir hatten viel Spass. Das eigentliche Ziel dieser Aktion, Englisch zu lernen, wurde knapp verfehlt.

Aber was solls. No risk, no fun. Irgendwie werde ich mich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten schon durchschlagen.

Das wird aber eine längere Geschichte und hat hier keinen Platz mehr. Also bleiben Sie dran und freuen sich mit mir auf die nächste Episode.