Die Arabische Revolution – was bedeutet sie?

Dass mit Erich Gysling ein erstklassiger Kenner der vielfältigen Ursachen und Folgen der arabischen Revolution in der Aula unserer Kantonsschule gastierte, hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Als Gabriele Coppetti, Präsidentin der organisierenden Volkshochschule Glarus, begrüsste, waren nicht mehr viele Plätze frei.



Gabriele Coppetti
Gabriele Coppetti

Das Kommen hatte niemand zu bereuen. Gysling, profunder Kenner des arabischen Raums und sorgsam, klug Analysierender, nie mit effekthaschendem Werten aufwartend, entpuppte sich als Referent, dem man gerne noch länger zugehört oder die «Diskussionsrunde» ausgeweitet hätte.

Zum Referenten


Gabrielle Coppetti stellte den 1936 geborenen und heute in Affoltern lebenden Fachjournalisten kurz vor. Seine profunden Kenntnisse betreffen nach absolviertem Studium des Arabischen und dem Erlernen der persischen Sprache eine Vielzahl von Ländern, die momentan im Zentrum des politischen und kulturellen Informationswirrwarrs stehen. Gysling ist Autor verschiedener Fachbücher über den Nahen Osten. Hohe Bekanntheit und Wertschätzung erreichte er als sorgsam und engagiert gewichtender Moderator der «Rundschau» und Sprecher der «Tagesschau». Zudem war er Chefredaktor des Schweizer Fernsehens.

Das Referat


Zu Gyslings Einleitung gehörten gar launige Hinweise übers Glarnerland. Er kennt unseren Kanton im wahrsten Sinne des Wortes als «Überflieger» – startete er doch oft mit dem Segelflugzeug ab Schänis. Das «Erden» fand spätestens 1986 statt, als er – unter anderem mit Christoph Blocher – wegen eines Referats in Glarus weilte. Er taxiert es als «Zufall mit Folgen», dass er als junger Journalist in den arabischen Raum geschickt wurde. Das Interesse war geweckt. Es begann sein umfassendes Auseinandersetzen mit «Land und Leuten», das ihn zum anerkannten Fachexperten und profund analysierenden Kommentatoren werden liess. Er gliederte sein Ausführen in die Teile «Regionen und Länder», «Ägypten mit Schwerpunkt Islam», «Erdöl, Gas, Armut und Reichtum» und «Iran».

Ganz allgemein hielt Gysling fest, dass der riesige, tief einschneidende Wandel mit seinen vielen Folgen vor drei Jahren begann, dass der anfängliche Elan samt Heranführen in stabilere, demokratischere Zeiten einer massiven, lähmenden Ernüchterung gewichen ist.

Dass die islamistischen Parteien vielerorts eine prägende, dominante Rolle spielen würden, war für Gysling voraussehbar. Dass damit Abwarten, Protest, Krieg, Absetzen von Despoten, Revolution, Destabilisierung bestehender Gefüge samt sozial einst Bewährtem derart massiv einhergingen, entspricht jenen Entwicklungen, die sich seither ereignen und für Millionen einschneidende, schmerzliche, ja mörderische Folgen haben.

Für Gysling ist erstaunlich, dass aus Kreisen sozial deutlich benachteiligter Frauen breite Zustimmung zu Anliegen der Muslimbrüder kommt, dass sich grosse Teile der jungen Generation diesem Gedankengut fast kompromisslos anschliessen. Da bedeutet der Islam politische und soziale Sicherheit, Beibehaltung kultureller Werte. Würde aber nachhaltig und ernsthaft hinterfragt, ergäben sich grosse Diskrepanzen.Gysling drückt ganz klar aus, dass die Haltung dieser jungen «Social – Media – Generation» für viele eine deutliche Warnung sein muss. Auch wenn grosse Teile der jungen Generation auf die westliche Technologie setzt, heisst es gar nicht, dass sie westlich orientiert ist. Viele Änderungen erfolgen zu rasant, zu unkontrolliert, lösen weitere Forderungen und gewalttätige Auseinandersetzungen aus.

Gysling erwähnte einst bewährte, klar strukturierte Ordnungen in ehemaligen Grossfamilien mit bis zu 600 Angehörigen und deren Wandel. In Ägypten geschieht der Wandel weit anders als in anderen arabischen Ländern. Er erwähnte Algerien. Dort wird abgewartet, eher sanft gefordert, einen weiteren Bürgerkrieg soll es nicht geben. In Katar werden Demokratiewünsche mit Geld erledigt, alles ist bezahlt, Steuern kennt man nicht, Studien- und Arbeitsplätz sind für Einheimische garantiert, Gesundheitskosten übernimmt der Staat – wie lange das so weitergeht, weiss man ebenso wenig, wie die Folgen beim Ausbleiben derart breiter Unterstützungen des gesamten sozialen Netzes.

Dass die Situation in Syrienangesprochen wurde, war absolut voraussehbar. Es ist eine Situation, die alle ratlos, hilflos macht. Gysling meint klar, dass nur eine Lösung von innen von Dauer sein kann, ob sie trägt oder nicht, ist nicht voraussehbar. Die Opposition ist derart zerstritten, von ausländischen Extremisten in gefährdendster Art unterwandert, dass dieser Staat zu zerfallen droht. Die Vielzahl von Minderheiten steht einem Wiederaufbau nach diesem mörderischen Bürgerkrieg im Weg. Das Lenken der gewaltigen Flüchtlingsströme ist hochproblematisch. Gysling redet von einer riesigen Hilflosigkeit.

Auf die Produktion von Erdöl undGas kam der Referent ebenfalls zu sprechen. Da ist der Zenit des Wachstums und der Vorkommen klar überschritten. Saudiarabien wird an Bedeutung verlieren, der Iran dazugewinnen. Die Transportwege werden Änderungen erfahren, damit der Seeweg an Bedeutung gewinnen.

Differenzierte Hinweise galten dem Iran, seinem neuen eher westlich orientierten Regime, das in Ansätzen kleine Schritte zu einer Öffnung, zu Zugeständnissen betreffend Atomprogramm macht. Die USA, davon ist Gysling sehr überzeugt, muss die teilweise überharten, unsinnigen Sanktionen lockern, ansonsten sich keine signifikanten, konstruktiven Änderungen ergeben.

Die einseitig proisraelische Haltung der USA ist ebenso unverständlich wie die zerstörerische Siedlungspolitik Israels. Das und anderes stehen dem Bestreben nach Änderungen, Beruhigungen ganz stark im Weg.

Diskussion


Die Folgen der arabischen Revolution sind wie Teile eines riesigen Puzzles. Kaum einmal wird sich das zu einem geordneten, überschaubaren Bild fügen. Die Teilchen trügen Titel wie Assad und eventuelles Ende eines diktatorischen Regimes, Flüchtlingselend, Umgang mit Minderheiten, Aufnahme von Flüchtlingen in andern Ländern samt Entwurzelung, Assads kaputte Glaubwürdigkeit, dessen Zynismus, Rechte der Frauen in Saudiarabien, Abkehr von Westlichem, Feindseligkeiten, Unverständnis, Hass, Kompromisslosigkeiten, Demokratie in 90 Prozent der arabischen Länder – einfach anders als bei uns. Gysling versuchte zu ordnen, Antworten zu geben, Verbindendes aufzuzeigen.

Ihm wurde mit verdientem Beifall gedankt und das von Gabriele Coppetti überreichte «Bhaltis» ist an einen guten Platz gelangt.