Liebe Freunde von glarus24 im Glarnerland, es ist mir eine Freude, mich endlich einmal bei Ihnen für das Privileg, regelmäßig mit Nachrichten aus dem Glarnerland verwöhnt zu werden, «aktiv zu bedanken». Gerne gehe ich Ihren Fragen entlang und schildere Ihnen, wie wir hier im Département Ardèche die Pandemie erleben. Die aktuelle Situation in Frankreich und vor allem in meiner gewohnten Umgebung in Nathanael.
Seit dem 17. März, also einem Monat, gilt für ganz Frankreich das «confinement» (dt: «Einzelhaft»!) Wer Haus oder Grundstück verlässt, muss eine (im Internet abrufbare) «Ausnahmebewilligung» auf sich tragen, aus der hervorgeht, wann genau das Domizil verlassen wurde, und zu welchem Zweck: Erlaubt sind nur Arztbesuche, Einkäufe erster Dringlichkeit, «Luft holen», Hund ausführen … all dies in engen Grenzen (nicht mehr als eine Stunde und 1 km Umkreis). Bei unabdingbaren beruflichen Einsätzen muss der Arbeitgeber seinerseits eine Erklärung unterzeichnen; auch hier sind Dauer und Wegzeiten begrenzt und genau anzugeben. Diese Ausgangsbeschränkungen wurden zwischenzeitlich noch verschärft und werden polizeilich kontrolliert, Zuwiderhandlungen gebüsst (von 135 bis im Wiederholungsfall über 3000 €). Soweit ich das beurteilen kann (und die lokale Presse es erkennbar macht), werden die Massnahmen sehr weitgehend akzeptiert und befolgt. Zunächst sollen sie bis zum 11. Mai aufrechterhalten werden, dann erfolgen sicher neue Informationen/Bestimmungen.
Als Witwer lebe ich (mit Rauhhaardackel) allein und musste bis Ende März auf Anordnung der Gemeinde aus Brandschutzgründen rund 3000 m² «Wildwuchs» aushursten. Diese Aufgabe hat meinen Alltag völlig ausgefüllt, sodass die Ausgangssperre lediglich zur Folge hatte, dass ich den Abraum seit Mitte März nicht mehr zur Grünabfallstelle bringen konnte (stattdessen: Kompost/Brennholz/Reisigbündel/Brotbackofen). Eindrücklich: Von Nathanael aus sieht man bis nach Vallon – und zeitweise war/ist, soweit der Blick reicht, kein Fahrzeug zu sehen! Die Menschen sind in der aktuellen Situation sehr viel disziplinierter als ihr Ruf! Was die Kontakte zu Freunden, Bekannten und Angehörigen betrifft: Nur noch Telefon und Internet (in aller Regel nach Feierabend).
Das Département Ardèche gehört zu den am wenigsten industrialisierten Gebieten Frankreichs und ist nun entsprechend wenig von der Pandemie «betroffen»: Wir haben derzeit (Stand vom 19.4.) knapp 50 Todesfälle (wobei die meisten mit «Vorerkrankungen» belastet waren), rund 200 Erkrankte, die bereits aus den Spitälern entlassen wurden, und weniger als 200 Infizierte in Spitalpflege. In meinem persönlichen Umfeld: Niemand infiziert. Allerdings ist die Unsicherheit gross. Ein Beispiel: Freunde in der Nähe leben zu sechst in Generationen-Gemeinschaft: Die Grosseltern (über 80 J.), die Eltern (in den 50 J.), die Jungen (unter 30 J.) Plötzlich haben die Jungen «Symptome». Grosse Unruhe – bis sich Tage später zeigt: «nur» eine Lebensmittelvergiftung. Grosse Erleichterung! Anderes Beispiel: Eine Bekannte in Vallon begleitet ihren Mann (im Spital) auf dem letzten Weg: Krebs, Endstadium. Er stirbt (ausgezeichnet gepflegt und umgeben von Angehörigen und Personal!) am Ostermontag. Der Neffe, Anfang 20, sehr eng mit dem Onkel verbunden, setzt sich nach Erhalt der Todesnachricht aufs Rad «um Luft zu holen». Er stürzt – und ruft die Tante um Hilfe. Sie kommt, ihn zu holen, sieht aber sofort, dass die Sache ernst ist: Ambulanz, Notfallaufnahme – und Weitertransport ins Unispital Grenoble. Auch dort keine wirksame Hilfe möglich: Tod durch Hirnblutung. Nun sind wegen des «confinement» Besuche selbst der weiter entfernt lebenden Familienangehörigen nicht zugelassen. Nur Tel- und Internetkontakt. Beisetzung mit nicht mehr als zehn Personen … Leicht vorstellbar, wie die ohnehin schwierige Situation in der derzeitigen Krise zusätzlich schmerzlich wird!
Die (meisten) Menschen sind unerhört diszipliniert – aber für viele ist die Lage zunehmend belastend, ja katastrophal: Unsere Region lebt sehr wesentlich vom Tourismus. Der aber ist auf null zurückgefahren. Touristen dürfen nicht ins Land, Hotels, Ferienhäuser usw. sind geschlossen: Man kann davon ausgehen, dass die derzeitigen Auflagen bis in den Sommer aufrechterhalten werden. Das bringt sehr viele Menschen in Not. Besonders schlimm ist es für die «Saisonkräfte». Normalerweise gibt es Ende März in Vallon Pont d›Arc eine «Plattform», wo (für weit über 1000 Saisonkräfte!) die Verträge abgeschlossen werden. Das war dieses Jahr unmöglich. Seit 1. April wären diese (meist jungen!) Leute nun eigentlich unter Vertrag und hätten Einkommen. Das ist – für die laufende Saison – nicht zu erwarten!
Hier auf dem «flachen Land» haben die meisten Kinder (die seit 17. März schon zu Hause sitzen) noch relativ viel Bewegungsraum. Das ist in den Städten nicht der Fall: Dort, beispielsweise in Montpellier, gibt es (weil viele jungen Familien sich keine grosse Wohnung leisten können) sehr viel Spielplätze, die bei gutem Wetter (und nach Büroschluss) voller Leben sind. Nun ist alles geschlossen – und die Eltern müssen sehen, wie sie klarkommen (meist arbeiten ja beide Elternteile und haben ‹es nie gelernt›, ihre Kinder kreativ zu beschäftigen… Und nach den derzeitigen Meldungen ist kein Ende abzusehen!
Leider bin ich mit ‹Fotomaterial› nicht gut versorgt. Einen Blick auf das «leere» Grundstück kann ich anhängen, Bilder von mir selbst finden Sie auf meinen Internetseiten (https://nathanael7.eu). Reicht das? Im Augenblick darf niemand zu mir kommen, der neuere Bilder machen könnte… Und ich selbst verlasse mein Gelände alle 14 Tage für weniger als eine Stunde, um einzukaufen.
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass die Pandemie im Glarnerland erträglich verläuft. Gewiss werden auch Sie auf Monate hinaus mit Einschränkungen und Vorsichtsmassnahmen leben müssen. Bleiben Sie gesund und behütet!
Ganz herzlich, Jörg Meuth