Die Ethik des Folterers

In dieser Woche geht das Freilufttheater «Annas Carnifex» in Mollis zu Ende. Während gut einem Monat verfolgten zahlreiche Zuschauer die Geschichte des Scharfrichters von Anna Göldi. Eine Geschichte, welche die zwiespältige Persönlichkeit eines professionellen Quälers beleuchtet.



Angeforderter unerwünschter Gast: Der Carnifex trifft in Glarus ein. (Bilder: Jürg Huber)
Angeforderter unerwünschter Gast: Der Carnifex trifft in Glarus ein. (Bilder: Jürg Huber)

Es singen die Kinder auf der Strasse und auch bei den Gästen im Wirtshaus und den Briefträgerinnen ist es das grosse Thema. Der Kanton Glarus hat im Fall Anna Göldi einen Carnifex, einen Scharfrichter, gerufen. Mit Folter soll die «Verderberin» gestehen, unter Schmerzen soll die Wahrheit ans Licht kommen. Die meisten Glarner im Stück «Annas carnifex» begrüssen die Ankunft des Folterers zwar, lehnen aber die Person und die Tätigkeit ab. Sie befürworten seine Suche nach Antworten, und dass der Fall endlich abgeschlossen wird, haben aber gleichzeitig Angst und Abscheu vor dem professionellen Quäler. Der Mann, der jedoch eines Tages durch die Gassen von Glarus schlendert, ist alles andere als Furcht erregend. Ein biederer Mann mit Hut und Koffer. Er wirkt mehr wie ein Hausierer oder viel mehr wie ein Beamter. Mit seiner ruhigen gelassenen Art unterweist er auch seinen Sohn, in der Kunst eines Carnifex. Das Grauen lauert aber im bescheidenen Koffer. Der Sohn nimmt einzeln die Folterwerkzeuge heraus, benennt sie und erklärt die Funktion. «Es geht nicht um Schmerz, es geht um die Wahrheit», meint der Scharfrichter. Und versucht so, seinem Tun eine eigene Würde, eine Rechtfertigung zu geben.

Plädoyer für Menschlichkeit

Das Stück vom Glarner Perikles Monioudis ist aber weit mehr, als nur eine Charakterisierung des Carnifex. Mit seinem Sohn trägt der von Ex-Tagesschausprecher Charles Clerc gespielte Scharfrichter einen Generationenkonflikt aus. Daneben zeigt das Werk Landammann Tschudi als machthungrige Person, die alles und jeden unter Kontrolle haben will. Bei Anna Göldi gelingt ihm dies nicht, deshalb muss sie sterben. Die gelungene moderne Inszenierung geht dabei ziemlich frei mit den historischen Tatsachen um und verlangt Kenntnis der Geschichte der «letzten Hexe», öffnet sich so aber auch zum Stück für alle im Namen der Gerechtigkeit gequälten und gefolterten Menschen. «Annas carnifex» ist somit nicht nur eine Reminiszenz an die historische Figur, sondern gleichzeitig ein eindrückliches Plädoyer für Menschlichkeit und Humanität. Damit das Menschenrecht, nicht wie auf die Häuserfassade geschrieben, nicht einfach das wird, was den übrigen Menschen gerade recht ist und ihnen «in den Kram» passt.