Die fehlende Stunde


Sonntagmorgen 10.00h. Mehr oder weniger ausgeschlafen tappe ich ins Bad. Zwischen dem Bett und dem Badezimmer rechne ich aus , wie viel Zeit mir noch bleibt, bis ich mich auf den Weg machen muss. Das Schiff legt um 11.50h ab, Sonntagsfahrer berücksichtigt, sollte ich spätestens um 11.20h abdüsen. Wenn ich das Risiko einer Busse wegen zu eiligem Fahren mindern will.

Ausserdem möchte ich auch die Peinlichkeit verhindern, hektisch gestikulierend dem Schiffsführer, der gerade abgelegt hat, erkennen zu geben, dass er doch bitte, bitte noch mal zum Hafen zurückkehren soll, um meine verspätete Wenigkeit auch noch einzusammeln. Was, nebenbei bemerkt, dieser nette Mensch ja Gott sei Dank auch immer auf sich nimmt.

Bleibt mir also noch Zeit in Ruhe zu duschen, Katzen zu füttern, Wäsche in die Maschine zu schmeissen, Rucksack zu packen etc.. 10.55h mein Blick fällt auf die Küchenuhr. Scheeiiiisse. Letzte Nacht war Zeitumstellung! Und obwohl ich mir auf dem Heimweg von der Arbeit ganz fest vorgenommen hatte, sofort alle Uhren im Haus umzustellen, blieb es leider nur bei diesem Vorsatz. Das Schiff fährt in diesem Moment über den See. Ohne mich. Also auf den nächsten Kurs. Am frühen Nachmittag erreiche ich endlich mein Ziel mit anderthalb Stunden Verspätung. Sofort mache ich mich daran zu schnipseln, zu wischen, zu jäten, all das eben, weswegen ich gekommen bin. Ob der vielen Arbeit, in die ich mich voll Elan stürze, wenn auch etwas verspätet, vergesse ich auch in diesem Haus die Uhren umzustellen.

Einzig die Backofenuhr time ich abends, während ich mir hungrig ein paar Nudeln koche, auf die richtige Zeit. So ist es nicht verwunderlich, dass ich am anderen Morgen prompt wieder zu lange im Bett rumlümmle. Leider zeichnet sich meine Lagerstätte nicht durch direkte Sicht auf den Backofen aus. Also ziehe ich, beim ersten Augenaufschlag, meinen Wecker auf dem Nachttisch zu Rate, ob ich noch ein wenig dösen kann. Dieser wurde jedoch nachlässigerweise, von mir nicht auf den neuesten Stand der Zeit gebracht, was mir wiederum erst eine Stunde später in den Sinn kommt. Raus an die Arbeit! Gegen Abend erwartet man mich zurück in der Zivilisation.

Abends zu Hause. Rucksack auspacken, Kinder und Katzen begrüssen, Mathe büffeln, Prüfung unterschreiben, Essen kochen. Ah, ist ja erst 18.30h. Bleibt also noch wunderbar Zeit für ein entspannendes Bad, bevor ich mich an die restliche, liegen gebliebene Arbeit mache. „Mami, ich schau mal nach, ob heute ein guter Film gezeigt wird.“ „Ok. Du gehst aber zuerst noch ins Bad. Ist ja noch lange nicht acht.“ rufe ich, nach einem Blick auf die Digitaluhr im Bad, zurück. „Muss das sein? Ist doch schon 19.50h.“ Nein! Nicht schon wieder. Ich hab die verdammten Uhren immer noch nicht richtig gestellt.

Die Wirkung meines wunderbar duftenden Schaumbades, dass ich seit ein paar Minuten geniesse, ist wie weggeblasen. Seit gestern Nacht fehlt mir einfach eine Stunde! Mein Time Management, das momentan eh einer Gratwanderung über steilabfallende Klippen entspricht, ist vollends aus dem Ruder gelaufen. Nicht, dass ich etwas gegen die Sommerzeit hätte. Im Gegenteil. Ich liebe sie. Schon Wochen vorher freue ich mich darauf. Endlich werden die Tage wieder länger. Frühlingsgefühle stellen sich ein. Mediterrane Zeiten brechen an . Der Sommer naht! Doch diese eine Stunde, die mir dieses Wochenende gestohlen wurde, nur für ein paar Monate zwar, die wird mir in den nächsten Tagen einfach fehlen. Flutsch weg war sie. Von einer Sekunde zur anderen. Ab in die Ferien. Und im Herbst dann, wenn ich mich endlich damit abgefunden und gelernt habe ohne sie auszukommen, ja, dann kehrt sie wieder zurück. Genauso schnell, wie sie sich verflüchtigt hat, ist sie wieder da. Als ob sie nie gefehlt hätte. Einfach so. Hallo, da bin ich wieder.

Jene Stunde, welche mir auf Zeit gestohlen wurde, ist zwar wieder aufgetaucht, steht zu meiner Verfügung, doch so recht beglücken kann mich das nicht. Was soll ich denn jetzt, da der Winter vor der Haustüre steht und die Tage eh viel zu kurz erscheinen, mit der wiedergekehrten Stunde anfangen? Jetzt klaut sie mir sogar noch eine Stunde Tageslicht. Im Sommer hätte ich sie mit Handkuss genommen! Sie irgendwo dazwischengeschoben. Hätte kaum jemand bemerkt. Und diese wunderbaren 60 Minuten, die hätte ich dann so richtig genossen.