Die Märchen über dem Alltag

Der «Märlisonntag» in Braunwald gehört zum Beginn des August, zur spürbar sorgsam gepflegten Märchenkultur, dem Spiel von zumeist bekannten Geschichten aus längst vergangenen Zeiten.



Die Märchen über dem Alltag

Es ist das Verdienst von Ursi Kessler, der kreativen und wirbligen Regisseurin, tatkräftig und enorm umsichtig Mithelfenden und ihren begeisternden Spielleuten, dass Rotkäppchen, König Drosselbart, Rapunzel und Nachtigall nicht ein trockenes Dasein zwischen irgendwelchen Buchumschlägen fristen, sondern zu neuem Leben erweckt werden.

Brutales, Verstörendes ausblenden


Bewusst ist darauf geachtet worden, dass Brutales, Grobes, Verstörendes ausgeblendet und nicht ausgespielt wurden. Das war die Kunst der jeweiligen Erzählerin, auf derartige Inhalte «en passant» hinzuweisen. Glücklicherweise stand für Märchenfreunde ein Spiel- und Zeitplan bereit. Dessen Inhalt galt es aufmerksam zu studieren. Schliesslich musste man genau festlegen, was man wann und wo sehen wollte. Ortskenntnisse waren dienlich, um die Route mit den Aufführungsorten festzulegen. Es blieb die Qual der Wahl: Soll nun beim Märchenhotel Bellevue das «Rotkäppchen» oder beim Chalet Hotel Ahorn die «Nachtigall» kurz vor Mittag besucht werden? Soll anschliessend in flottem Tempo zu Alexanders Tödiblick für die Aufführung mit «Rapunzel» oder dem Restaurant Uhu und damit zum «König Drosselbart» gewandert werden, um eine Stunde später beim Hotel Cristal die «Nachtigall» oder beim Bsinti das «Rotkäppchen» mitverfolgt werden? Es war ohne Eeiteres möglich, beide Spielgruppen und deren Aufführung zu besuchen. Stets tauchte jener so bemitleidenswert krächzende, lautstark lamentierende Rabe auf, der zum Mitspielen nie eingeladen wurde – er agierte einfach zu hinterlistig. Seine grosse Stunde hatte er beim abschliessenden Spiel bei der Bergstation der Braunwaldbahn. Er hatte sich zwar in eine gar blöde Spielsituation reinmanövriert, weil er den Akteuren ein lange wirkendes Schlafmittel in die Getränke gemischt hatte und so merkte, dass er wieder allein gewesen wäre. Märchen sind anders – stets gibt es einen Trick, um alles zum Guten zu wenden. Das hatten die Interpretierenden am letzten Tag der Probewoche «zusammengeschustert».

Und weil einige gar viel zu spielen und an den verschiedenen Orten aufzutreten hatten, durften sie eine veritable Pferdekutsche nutzen; das Fussvolk – lies Zuschauer – hatte es da etwas anstrengender.

Und war man am jeweiligen Spielort angelangt, wurden die wenigen Kulissen hurtig aufgestellt, die wenigen Requisiten waren sofort bereit, die Ehrfurcht gebietende Erzählerin setzte sich, die Spielleute traten mit ihren reizenden Koffern auf die Spielfläche, zogen sich rasch um, fanden sich zum Gruppenbild zusammen. Drehorgeltöne klangen auf, das Spiel begann. Vieles fasste die Erzählerin jeweils zusammen, anderes wurde in kluger, sehenswerter und spürbar sorgsam vorbereiteter Art ausgespielt.

Stets begann es mit der Erzählerin


Es waren einmal ein Kaiser, eine Nachtigall, ein Diener. Sie alle zogen sich um, begaben sich zum grossen, alles umfassenden Bilderrahmen, posierten kurz und begannen so, wie es bei den anderen Märchen der Fall war.

Über die Nachtigall im kaiserlichen Garten waren betörend schöne, rührende Zeilen mit poetischem Überschwang formuliert worden. Der Kaiser war spürbar empört, dass er von diesem wundersamen Ereignis einfach gar nichts vernommen hatte.Er befahl, dass der Vogel sofort zu ihm gebracht werden müsse. Das war zwar schnell befohlen, aber weniger effizient umgesetzt. Es quakte und muhte anfänglich. Der Kaiser war unzufrieden, ungeduldig. Nur dank der Hilfe eines Mädchens, das in der kaiserlichen Küche tätig war, gelang das Auffinden des Vogels, der wenig später beim Kaiser so himmlisch schön lossang. Der Kaiser war zu Tränen gerührt. Er wünschte, dass die Nachtigall ab sofort zweimal pro Tag in den kaiserlichen Gärten weilen und singen dürfe, er wolle sie reich belohnen. Die Nachtigall winkte bescheiden ab; die kaiserlichen Tränen seien als Geschenk zu verstehen, das genüge durchaus. Da wurde der Kaiser von einem gleichermassen adeligen Kollegen aus Japan beschenkt – mit einer aufziehbaren, künstlichen Nachtigall. Die legt nun los, mechanisch, leicht leidenschaftlich – bis sie ihren Geist aufgibt. Und wie es so ist – die erste und richtige Nachtigall übernimmt den Part, die kaiserliche Untröstlichkeit entschwindet. Fortan singt die Nachtigall von Gutem und Unliebsamem, ist quasi zur kaiserlichen Erzählerin avanciert. Alles hat sich zum Guten gewendet – ausser für den Raben, der es halt auch diesmal übertrieben hat. Er hatte im kaiserlichen Garten eine kleine Zahl gar hübscher Blumen ausgerissen. Und auch in diesem Falle musste eine Frage mit Bezug auf das Geschehen beantwortet werden. Genaues Zuhören war gefragt.

Alle Märchen waren klug, stets gleichbleibend aufgebaut. Die jeweilige Erzählerin gab an, wer auftrete. Alle fanden sich im übergrossen Bilderrahmen zusammen. Dann begann das abwechslungsreiche, muntere und farbenprächtige Spiel. Die wenigen Kulissen waren stets rasch aufgestellt, die Kostüme führten alle in einem kleinen Koffer mit. Als Rückzugsraum diente ein grosser, mit langen Stoffbahnen versehener Sonnenschirm.

Zum Abschluss traf man sich an der Bergstation der Braunwaldbahn und konnte die Wettbewerbskarten mit den vier hoffentlich richtigen Antworten abgeben. Die von den Hotels offerierten Preise zeugen von Grosszügigkeit und starkem Willen, den jeweiligen Märlitag zu unterstützen. Je nach Glücksfaktor konnte man eine Übernachtung für die ganze Familie im «Bellevue» oder «Tödiblick», Gutscheine für ein Tagesmenü, ein Zvieri oder Eintritte gewinnen.

Unvergesslich schön war es und wird es hoffentlich im kommenden Jahr wieder sein.