Die Natur hören – literarische Matinee im Richisau

Vier Begegnungen gehören zum diesjährigen Literatursommer im Richisau. Was sorgsam vorbereitet ist, vermag viele anzuziehen, die sich mit ganz besonderen Formen von literarischem Schaffen auseinandersetzen wollen. Am vergangenen Sonntag hiess Fred Jaumann Claudio Landolt, aktueller Glarner Kulturpreisträger und Rolf Hermann, Gast aus dem Wallis, in herzlicher Art willkommen.



Claudio Landolt (rechts), aktueller Glarner Kulturpreisträger und Rolf Hermann, Gast aus dem Wallis
Claudio Landolt (rechts), aktueller Glarner Kulturpreisträger und Rolf Hermann, Gast aus dem Wallis

Es waren technische Gerätschaften samt Leinwand und Mikrofone installiert, es hatten sich zwei Literaten hingesetzt, die sich – man spürte es bald einmal – freundschaftlich und wertschätzend verbunden wissen, die auf ganz besondere Art zu einer Ausdrucksform gefunden haben, die durchaus willkommenen Seltenheitswert hat, die Hinhörenden zuweilen recht stark fordert und spürbare Anerkennung zu wecken vermag.
Beide stellten sich gegenseitig Fragen, gaben bereitwillig Antwort, gestatteten damit gehaltvolle Einblicke ins Werden der publizierten Bücher.

Begrüsst wurde man auf spezielle Art im gastfreundlichen Richisau. Ein Echoruf provozierte Widerhall und Antwort. Sie näherten sich an und fanden sich in der «Schartlistube» des Richisau zusammen – munter, von Kreativität erfüllt, leichtem Schalk durchaus nicht abgeneigt. Es klang, elektronisch in erträglicher Art verstärkt, langes Rauschen auf, zuerst noch leise, aus dem Hintergrund, sich zu einem dumpfen Grollen entwickelnd. Claudio Landolt begann mit der ganz speziellen Lesung, mit einer zuweilen bewusst knapp gehaltenen Textfülle, die Verharren, Ausdeuten oder Staunen dann erlaubt, wenn man sich mit seinem Vorderglärnisch-Bergporträt «Nicht die Fülle – nicht Idylle – nicht der Berg» auseinandersetzt. Vor dem Text waren es die Geräusche, die der Berg preisgab, die Landolt zum langen, langen Verweilen führten; es seien 136 Stunden gewesen. Wind, Schafe, Wasser, Rinder, menschliche Stimmen, Knistern, Kratzen, Pfeifen, Rauschen. Vieles kam zusammen, wurde zu einer Toncollage gefügt, die in Verbindung mit dem Text zu nunmehr 30 ganz speziellen Bühnenauftritten geführt hätten – so Claudio Landolt. Er las einen Teil der vielen Texte, mit spürbar theatralischer Begabung. Man wurde auf eine Wanderung mitgenommen, die zahlreiche Begegnungen in sich birgt. Mit den verschiedenen angetippten Stationen zeigt Landolt auf, welche Vielfalt hörbar wird, welcher Reichtum an eigentlich Unspektakulärem aufblüht. Er tut das in unspektakulärer, daher umso willkommenerer Art.
Den Vorderglärnisch wählte er aus, weil der alte graue Klotz fast vor der Haustüre liegt, weil er nach jahrelangem Reisen im In- und Ausland an jenen Ort zurückkehrte, der ihm viel bedeutet.

Rolf Hermann weiss sich der Natur ebenso stark verpflichtet, wie es für Claudio Landolt der Fall ist. Er kehrte einst nach dem Erteilen von Deutschunterricht im US-amerikanischen Iowa ins Wallis zurück, wechselte aus einer topfebenen Landschaft ins Gebirge, sich so intensiv zurücksehnend. Er hütete über sieben Jahre hinweg jeweils ungefähr 1200 Schafe, musste sich körperlich und seelisch an Neues, Ungewohntes umgewöhnen, hatte zuweilen Zeit, sich den einen oder anderen Gedanken zu notieren, bezog Leute und Kultur in sein Ausgestalten ein. Er ist sorgsam Betrachtender, kunstvoll Verwebender, ist wortstark, ungemein weit fassend, schreibt behutsam deutend und bezieht Lesende und Hinhörende bereitwillig in sein elegantes Ausformulieren mit ein. Er äusserte sich zu Inhalten der verschiedenen Bücher, zeigte auf, was aus Erdachtem zuweilen geworden ist.
Im gegenseitigen Befragen zeigte sich, in welchen Formen Annäherungen erfolgt sind, welche literarischen «Bedeutungen» sogar Schafen zukommt, wie die Kommunikation mit Bergen sein kann. Rolf Hermanns neuestes Werk ist mit «In der Nahaufnahme verwildern wir», ist zuweilen bildhaft stark, dann wieder sanft, traumreich, ist Philosophie und Protokoll, ist ungemein reichhaltig.

Es gab verdient grossen, langen Beifall. Es ergaben sich Verweilen, zuweilen intensive Gespräche. Nicht selten erwarb man sich am eigens eingerichteten Büchertisch das eine oder andere Buch – weiteres Lesen war damit so etwas wie selbstauferlegte Verpflichtung.