Die "Rumpelwagen" kommen!

Mein Interregio von Zürich nach Chur hat schon wieder Verspätung. Es ist klirrend kalt. Meine Hände fühlen sich langsam an wie... - Ach, ich fühle sie schon fast nicht mehr...


Zürich Hauptbahnhof, minus 2 Grad. Mein Interregio von Zürich nach Chur hat schon wieder Verspätung. Es ist klirrend kalt. Meine Hände fühlen sich langsam an wie... - Ach, ich fühle sie schon fast nicht mehr... In meiner Verzweiflung beginne ich in die um mich herum stehende Menschenmasse zu schauen. Ich kann mir vorstellen, dass es sogar an einem Robbie-Williams-Konzert noch weniger Leute am selben Ort hätte. Ein älterer Herr bemerkt mein Unbehangen und meint: „Händ Sie chalt? – De Zug chunt bald und det chänd sie dänn sitze und sich ufwärme!“ Darauf hin drehe ich mich frustriert um und warte auf den Zug, der laut Fahrplan schon vor 2 Minuten hätte einfahren sollen. Da endlich sehe ich einen Zug heranrollen. Freude herrscht! Ein präziserer Blick auf das Rollmaterial lässt meine Hoffnungen jedoch zerplatzen. Da habe ich mich wohl zu früh gefreut... Es ist nur ein Güterzug. Oder etwa doch nicht? Denn als der Zug endlich vor meinen Füssen hält, bemerke ich erstaunt, dass die Wagen Fenster haben. Besonders aufmerksame Leserinnen und Leser werden an dieser Stelle bemerkt haben, dass es sich de facto nicht um einen Güterzug, sondern um eine der mittlerweile alltäglichen „Rumpelwagen“-Kompositionen der SBB handelt, die zwischen Zürich und Chur verkehren. Und während ich mich an den alten Mann zurückerinnere und seinen Worten insgeheim Beifall pflichte, erwärme ich mich an der Vorfreude auf die Wagenheizung und einen freien Sitzplatz. Wen kümmert es schon, ob es ein neuer oder alter Waggon ist. Durchfroren und fast unbefangen steige ich in den hintersten Waggon ein. Ich freue mich auf einen Sitzplatz neben der Heizung, um mich endlich aufzuwärmen. Irgendwann bemerke ich, dass ich wohl mit meinen Gedanken und Wünschen nicht der Einzige bin, denn von einem Sitzplatz fehlt jede Spur. Frustriert und müde mache ich mich mit meiner Tasche und meinem Rucksack auf, um mich durch die vollen Gänge in Richtung vordere Wagen zu quetschen. Mittlerweile ist der Zug losgefahren. Als ich im vordersten Wagen angekommen bin und endlich sitzen kann, befindet sich der Zug schon fast in Thalwil. Was die Pendler schon lange wissen, muss den SBB noch lange nicht klar sein, denn zwischen Zürich und Chur wird bis Wädenswil eher ein- denn ausgestiegen. Dies wirkt sich direkt auf das ohnehin beschränkte Sitzplatzangebot der einstöckigen „Rumpelwagen“ aus. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die SBB – je nach Herkunft des Zuges - entweder in Basel oder in Zürich jeweils drei Waggons und eine Lokomotive zusätzlich anhängen. Dies, um wenigstens einen kleinen Teil der nicht vorhandenen Sitzmöglichkeiten zu kompensieren. Otto Pendler fragt sich da natürlich, was mit den schönen vielen Doppelstockzügen passiert ist. Wo sind diese bloss hin? Sind diese (um das SBB-Defizit zu decken) etwa verkauft worden? Oder werden sie gar der internen Zucht wegen in speziellen, geheizten Hallen gehalten? Oder ist der Markt mit den Pendlern der Südostschweiz mittlerweile derart unattraktiv geworden, dass diese Wagen auf „interessanteren“ Strecken eingesetzt werden? Wahrscheinlich wird in naher Zukunft mein Blick bei einem Museumsbesuch bei einem Schild mit der Inschrift „Als die Leute noch verwöhnt und mimosenhaft gereist sind“ hängen bleiben. Und ich werde meinen Blick heben und die vermissten Doppelstockwagen entdecken.