Die Schlacht von Glarus vom 5. Oktober 1799

«Die Schlacht von Glarus – noch nie etwas davon gehört». Mit diesen Worten reagierte erstaunt ein Freund von mir, nachdem ich ihm kürzlich eine Papierkopie eines Bildes von einem französischen Kunstmaler vorgelegt hatte, welches eine Schlachtszene zwischen den Russen und Franzosen zwischen Netstal und Glarus darstellt. Die nachstehenden Aufzeichnungen sollen versuchen, das Rätsel zu lösen.



Kontrahenten der Schlacht von Glarus: Der russische General Wassily Suworow und General André Masséna
Kontrahenten der Schlacht von Glarus: Der russische General Wassily Suworow und General André Masséna

Der Alpen-Feldzug von General Suworow

Kriegsgeschichte machte der viel beschriebene Alpen-Feldzug der russischen Armee von General Wassily Suworow Ende September 1799. Die Russen konnten sich einzig über den Pragelpass und das Klöntal aus der Zange der Feinde im Muotathal retten, weil ihnen der vorgesehene Marsch nach Schwyz versperrt war. Wie aufreibend die Kämpfe im Klöntal gewesen sein müssen, ist aus einem Bericht des französischen Marschalls Adolphe Édouard Mortier ersichtlich, der am 5. Oktober 1799 mit seiner Halbbrigade Suworow verfolgte und dem Klöntalersee entlang rund 100 Russen gefangen nahm, zudem 1800 Gewehre, 8 Kanonen und eine Menge Maultiere und Pferde vorfand, welche die Truppen Suworows zurückgelassen hatten. Noch 1894 entdeckte man im Güntlenau grosskalibrige Kanonenkugeln mit dem zaristischen Doppeladler. Über die legendäre Kriegskasse kursieren bis heute mögliche, aber auch unmögliche Geschichten. Sicher ist indes, dass am 13. August 1857 ein Enkel des Generals, Fürst Suworow, den Spuren seines Grossvaters nachging und die Besichtigung des Klöntals mit einem Besuch im Vorauen abschloss.

Blutige Kämpfe im Glarnerland

Im Frühling 1799 verbündeten sich Österreich, England und Russland, um gegen Frankreich Krieg zu führen. Ein Teil dieser Kämpfe wurde in den Glarner Alpen ausgetragen. Am 19. Mai erschien ein österreichisches Heer unter Feldmarschall Hotze auf dem Kerenzerberg und vertrieb die Franzosen aus dem Linthtal. Die Glarner begrüssten die Österreicher als Befreier. Schon am 30. August drangen die Franzosen unter General Masséna von Bilten her und über den Pragel wieder ins Glarnerland ein und beherrschten es in wenigen Tagen wieder. Feldmarschall Hotze fiel bei Schänis. Die Verbündeten wollten die Franzosen ganz aus der Schweiz vertreiben. Österreicher und Russen griffen im Mittelland an. Der russische Feldmarschall Alexander Suworow plante, aus Italien über den Gotthard dem Feind in die Flanke zu fallen. Die 20 000 Soldaten Suworows trafen unter steten Kämpfen gegen die Franzosen planmässig über Gotthard und Kinzigpass im Muotathal ein. Hier erfuhren sie von der Niederlage ihrer Waffenbrüder bei Zürich und mussten versuchen, auf dem kürzesten Weg nach Österreich zu gelangen Sie überquerten kämpfend den Pragelpass und drängten die Franzosen nach Netstal und Mollis zurück. Der Durchbruch nach dem Walenseetal gelang nicht. Suworow hielt in einem kleinen, heute noch stehenden Häuschen (Suworow-Haus) zwischen Netstal und Glarus Kriegsrat und entschloss sich, sein Heer über den Panixerpass ins Vorderrheintal zu führen.

Tödliche Flucht von Netstal über den Panixerpass 

Am 5. Oktober 1799 morgens drei Uhr verliess das angeschlagene Heer von Suworow das Dorf Netstal, verfolgt von den Franzosen. In der Dämmerung und bei Schneetreiben erreichten die Russen Matt und Elm. Der 70-jährige Suworow nahm Quartier im stattlichen Wohnsitz des kurz zuvor verstorbenen Landvogts Freitag. Grossfürst Constantin übernachtete in einem Bauernhäuschen im Elmer Unterdorf. Die Armee war bunt gemischt: Russen, Kalmücken, Kosaken und Tataren, deren Sprachen man in Elm nicht verstehen konnte. Trotz der strengen Disziplin unter Suworow kam es vereinzelt zu Plünderungen und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung. Morgens um zwei Uhr machte sich Suworow wieder auf den Weg. Elmer Bauern wurden gezwungen, Führerdienste zu leisten, rissen aber auf der Jetzalp aus. So mussten sich die Russen den Weg selbst suchen. Der Neuschnee lag fusstief. Zahllose Soldaten glitten auf dem vereisten Saumpfad aus und stürzten in die Tiefe. Soldaten, Generäle und Offiziere waren fast barfuss, hungrig, entkräftet und bis auf die Knochen durchnässt. 300 Lasttiere gingen jämmerlich zugrunde. Alle Geschütze mussten in die Tobel geworfen werden. Gegen Abend erreichte die Vorhut die Passhöhe. Kosaken zerbrachen ihre Lanzen, um für Suworow ein Feuer zu entfachen. Viele Soldaten erfroren. Der Abstieg war nicht weniger gefährlich. Soldaten stürzten in die Schluchten unterhalb der Alp Ranasca. Vier Tage später stiess Suworow mit seiner erschöpften und dezimierten Armee über die Luziensteig endlich zu seinen Verbündeten in Feldkirch. 

Wer nicht gehorchte, musste schwer leiden

Über den kurzen Aufenthalt der Russen in unserem Dorfe erzählt man sich noch heute die wildesten Geschichten. Beispielsweise die Kosaken mit ihren weiten blauen Hosen, ihren roten Mützen und ihren flinken, struppigen Pferden blieben als seltsame Erscheinungen in den Köpfen der Netstaler hängen. Nichts und niemand war vor diesen komischen Gestalten sicher. Man erzählt, dass sie mit ihren Lanzen das unreife Obst von den Bäumen herunterschlugen, die Kartoffeln aus dem Boden herausgewühlt und die geraubten Hühner und Schweine erstochen hätten. Das Fleisch brieten sie oder assen es auch roh mit den noch dämpfenden Gedärmen. Wein, Branntwein, Weingeist und Spiritus tranken sie in gleicher Weise. Seifen und Talgkerzen verschlangen sie als Leckerbissen. In ihrem Heisshunger durchwühlten sie die «Hürbenen» nach etwas Essbarem und verzehrten die ungewaschenen faulenden Abfälle, welche die Metzger auf die Miststöcke geworfen hatten. Einer bemühte sich vergebens, Fegsand weich zu sieden, den er in der Küche gefunden hatte und als Mus zubereiten wollte. Andere rissen den Bäckern das halbfertige Brot aus den Öfen und verzehrten es heiss. Wer nicht bereit war, das Verlangte den Russen auszuhändigen, hatte das Schlimmste zu befürchten. Widerstrebendes nahmen sie mit Gewalt. Misshandlungen der Bevölkerung durch Russen konnten jedoch nie nachgewiesen werden.

Französisches Kunstwerk über die Schlacht von Glarus 

Über die Schlacht zwischen den Russen unter General Suworow und den Franzosen unter General Masséna existiert ein Kunstwerk unter dem Titel «Combat de Glaris», gemalt vom französischen Maler Jean-Antoine-Siméon Fort: Siméon Fort war einer der bekanntesten französischer Maler des 17. Jahrhunderts. Bei vielen seiner bekannten Kunstwerke handelt es sich um Schlacht-Szenen inner- und ausserhalb von Frankreich. So stellte Fort beispielsweise im «Salon von 1842» vier Kunstwerke von Schlachten aus, die Louis-Philippe für das Schloss von Versailles in Auftrag gegeben hatte. Er malte 1843 auch eine Ansicht der königlichen Residenz (Ansicht des Palastes von Compiègne). Eines seiner Kunstwerke unter dem Titel «Campagne de 1799 – Combat de Glarus 5 Octobre 1799 handelt von der Schlacht zwischen den Französen unter der Führung von General André Masséna (Armée d’Italie) und dem russischen Feldmarschall General Wassily Suworow. Das Bild zeigt die Schlacht zwischen den Franzosen und den Russen zwischen Netstal und Glarus. In der Bildmitte erkennt man den Flecken Glarus mit der im Jahre 1861 abgebrannten Kirche und den Burghügel mit der Kapelle. Am Fusse des Burghügels befindet sich der Sammelplatz der Russen. Ganz links auf dem Hügel ist unschwer der Weiler Ennetbühls zu erkennen. Gegen den unteren Bildrand hin über die ganze Breite des Bildes die Kampffront der Franzosen (auf Netstaler Boden) und südlich davon mit wenig Distanz zum Feind die kämpfenden Russen. Der Pulverdampf der Kanonen und Gewehre ist gut sichtbar. Links am unteren Bildrand in einem Warteraum am Fusse der «Bürglen» (der heutigen Kublihoschet) wartet die zweite Angriffsfront der Franzosen (Armée d’Italie) auf ihren Einatz. Auf der «Bürglen» selbst beobachten französische Offiziere (darunter vermutlich General Masséna) das Kampfgeschehen auf ihren Pferden.

Quellennachweis:
Textauszüge aus Paul und Hans Thürers «Geschichte der Gemeinde Netstal».
Bild-Kopie von Typogravure Goupil, Paris
Fotos Archiv Hans Speck, Netstal