Die Welt der Märchen – Lesung in der Kulturbuchhandlung Wortreich

Sich für einmal mit Märchen verwöhnen zu lassen – es war derart willkommen, dass sich in der stadtglarnerischen Kulturbuchhandlung ganz viele Zuhörerinnen und Zuhörer einfanden, um genüsslich hinzuhören, um sich für einige Momente in fremde Welten und Kulturen entführen zu lassen. Es lasen vier Erwachsene, die sich mit dem Besuch eines fordernden Angebots als Märchenerzählerin / -erzähler ausbildeten und kurz vor dem Abschluss standen.



Die Erzählenden kommen aus dem Bündnerland (Caroline Jörg), der Innerschweiz (Barbara Keiser), dem Zürcher Oberland (Claudia Pflugshaupt) und dem benachbarten Oesterreich (Walter Grundböck). (Bilder: p.meier)
Die Erzählenden kommen aus dem Bündnerland (Caroline Jörg), der Innerschweiz (Barbara Keiser), dem Zürcher Oberland (Claudia Pflugshaupt) und dem benachbarten Oesterreich (Walter Grundböck). (Bilder: p.meier)

Das Kommen hatte niemand zu bereuen. Die Erzählenden benötigten keine Vorlage, sie hatten sich den jeweiligen Inhalten spürbar intensiv gewidmet und vermochten damit stimmungsvoll und bewegend zu agieren.

Es waren praktisch alle Plätze besetzt, als Christa Pellicciotta mit den gewohnten Hinweisen auf kommende Veranstaltungen begrüsste – unter anderem auf den 31. Januar mit der Lesung von Christian Haller aus seinem neuesten Buch «Sich lichtende Nebel», Gewinner des schweizerischen Buchpreises dieses Jahres.

Die einfühlend und zuweilen recht gestenreich Erzählenden kommen aus dem Bündnerland (Caroline Jörg), der Innerschweiz (Barbara Keiser), dem Zürcher Oberland (Claudia Pflughaupt) und dem benachbarten Österreich (Walter Grundböck). Sie wurden ebenfalls vorgestellt. Ihre Fertigkeiten haben sie sich im Netzwerk «Mutabor Märchenkultur» angeeignet und in entsprechenden Seminaren vertieft.
Caroline Jörg wies auf die Märchen als wahrlich kostbares Kulturgut mit vielen Botschaften hin.  

Dann war es Zeit für Märchen, für Texte, die Jahrhunderte nicht selten überdauert haben – mit der grossen Hoffnung verbunden, dass dies noch lange Bestand haben wird. Märchen sind nicht einfach ein Nischenprodukt für irgendwelche Momente. Sie beinhalten auf nicht selten zauberhafte Art Erkenntnisse, bergen einen hohen Unterhaltungswert, vermitteln Unerwartetes, führen – neben durchaus verstörenden Episoden – zu gemütlichen, vergnüglichen Momenten. Sie offenbaren eine enorme Fülle an Gefühlen, entführen zuweilen in ganz fremde Welten.

In diese Vielfalt kann nur einführen, wer sich sorgsam eingearbeitet hat, gerne erzählt, ein klein wenig Theatralik in sich weiss und zu faszinieren vermag. Das war bei Barbara Keiser, Caroline Jörg, Claudia Pflughaupt und Walter Grundböck ganz klar der Fall. Vor jedem der acht willkommen kurzen Märchen aus vielen Teilen unserer Welt wurde auf einer Klangschale eine Einstimmung ausgedrückt. Damit war es Zeit zum erwartungsvollen Zurücklehnen, Neugierde machte sich breit. Die «Requisiten» auf der kleinen Bühne bestanden aus einer kleinen Laterne, einem Tisch samt Stuhl. Im Zentrum standen noch unbekannte Botschaften, waren auf dem bereitgelegten Flyer Titel nachzulesen. Das lautete so: «Die sechs Jizos und die Strohhüte» aus Japan; «Der Wundersame», Mazedonien; «Vom alten Hund und vom Wolf», Ukraine und – noch vor der wohlverdienten Pause – «Der Mann, der das Mittagessen kochte» Schweiz.

Es schlossen ein spürbar angeregter Gedankenaustausch samt kurzzeitigem Verweilen an der Bar an, bevor mittels einem ganz feinem Glockenklang zur Fortsetzung eingeladen wurde.

Man wurde mit «Salz ist wertvoller als Gold» in die Slowakei entführt, liess sich dann mit «Das Kästchen», Frankreich über einen sagenhaft kostbaren Inhalt informieren, genoss mit «Küssdenpfennig» Wienerisches aus alten, vergangenen Zeiten und weilte zum Schluss mit «Das Glöckchen» wieder in Japan. Man hörte, wie zauberhaft sich der Klang eines ausgeliehenen Glöckleins auswirken kann, wie tanzfreudig Betroffene urplötzlich werden.

Zwei von acht Märchen

Mit «Die sechs Jizos und die Strohhüte» entführte Walter Grundböck ins ferne Japan. In jenen Bergen lebte ein altes Ehepaar, das sich der Handwerkskunst verschrieben hatte. Das Fest des Neujahrsabends wollten sie mit Reiskuchen feiern, aber es mangelte an diesem Grundnahrungsmittel. Dessen Kauf erwies sich wegen des Geldmangels als unmöglich. Niemand wollte in der nur mühsam zu erreichenden Stadt einen Strohhut erwerben; es kam kein Geld zusammen. Entlang des Weges standen Statuen – wie sie im ganzen Land verteilt sind. Der arme, müde Hutmacher gab jeder Statue einen der fünf Hüte, die sechste erhielt den Schal. Ohne Erfolg kehrte er heim. Die Eheleute legten sich zum Schlafen hin und wurden in der Nacht von den Statuen reichlich beschenkt.

Aus der Ukraine stammt das Märchen vom alten Hund und dem Wolf. Der Hund wurde von seinem Meister weggejagt. Er tauge nichts mehr, war das Verdikt. Der Hund klagte sein Leid dem grossen Wolf. Die kamen überein, mit einer List alles ins Positive zu kehren. Der Wolf raubte das in einem Körbchen schlafende Kleinkind, als dessen Eltern auf dem Felde arbeiteten. So war es zwischen dem Hund und dem Wolf auch abgemacht. Der Hund brachte das geraubte Kind zurück, erhielt grosses Lob und durfte zum Dank immer am Tisch mittafeln. Es gab für ihn nur das Beste vom Feinen. Der Bauer wollte eine seiner Töchter verheiraten. Das zu vereiteln, war Sache der beiden Vierbeiner. Der Wolf nahm am Festmahl teil, unerkannt unter dem Tische liegend. Er erwischte eindeutig zu viel Schnaps. Er sang drauflos, was das Zeug hielt – aber das hörte sich derart scheusslich an, dass alle Gäste flüchteten und der Hund den gruseligen Wolf wegjagte. Auch dieser Teil des Plans ging auf.

So hörte man sich bereitwillig und bestens eingestimmt von einem Märchen zum andern und genoss eine ganz andere Welt – dies enorm gern.