Dominic Deville – Kindergartennews

Bei der ersten Durchsicht der GKTG-Einladung, genauer jener des Driten Programms, fragte man sich schon, wie Kindergartenarbeit und Punkgehabe unter einen Hut zu bringen seien. Und wer das live erleben wollte, begab sich ins «Schwert» Näfels. Und es kamen so viele, dass eilends zusätzliche Sitzgelegenheiten von der Bühne in den übervollen Saal getragen werden mussten – noch bevor Heini Nold, Hauptverantwortlicher der «Dritten GKTG-Säulenkonstruktion», mit launigen Worten begrüsste und auf Vergangenes hinwies.



Dominic Deville – Kindergartennews

Was dann mit Dominic Deville als «Kinderschreck» folgte, war eine kecke, gekonnt und wuchtig inszenierte Vermischung von Erfahrungen, Erlebnissen, Deutungen, Gesang, Rasanz, Sprachakrobatik, Witz, Verzweiflung, Resignation und bissigen Munterkeiten.

Dominic Deville wird seine Kindergartenarbeit und die Bühnenpräsenz in sicher kluger Art zu trennen wissen, sonst treibt er jede Schulleitung, seine Kindergärtler und deren Eltern und den gesamten Kollegenkreis unweigerlich an den Rand eines gewaltigen Nervenzusammenbruchs. Deville sei – so Heini Nold in seiner Einführung – der Shootingstar in der schweizerischen Kabarettszene. Damit sind wohl die verblüffende Direktheit, Frechheit, das Rotznasige, die gekonnte Übertragung punkiger Melodien in fast kindgerechte Lieder, das scharfsinnige Erläutern berufsbezogener Erlebnisse, die meisterlich angedeuteten Momente tiefster Verzweiflung, das irrwitzige Verflechten zahlreicher Erlebnisse, die wahren Flutwellen an Verbalem, das Bruchteile von Sekunden umfassende Ausruhen und das unablässige «Auf zu neuen Taten» gemeint. Deville ist grösstenteils laut, mit klaren Botschaften überreichlich gesegnet, befähigt, das unter die Leute zu bringen. Ihm gelingt das mit riesigem Bewegungsaufwand, lautmalerischem Übertreiben, gespielter Naivität, kleinen und grossen Frechheiten und einer meisterhaften Schlagfertigkeit. Noch ist es auf der Bühne dunkel, Devilles Geist schwebt über dem Ganzen. Dann folgen Auftritt und Einführung in die Arbeit des Kindergärtners, der einst mit fast hundert holden Damen die Fachschule besucht hat – laut eigenen Angaben. Zum Unterricht während den ersten zwei Lektionen genügen eine Triangel, ein Satz stumpfer Scheren (bei ihm ist das später die dröhnende Motorsäge), und ein übergrosses Plastikgebiss. Und weil er immer situativ plane und tätig sei, komme er auf zwei Halbtage pro Sommerferien, um alles gründlich vorzubereiten. «Halli – hallo» – die Vier- bis Sechsjährigen treffen ein. «Grüezi Herr Deville, wie gaht s dir?» Ganz munter geht es los. Deville unterscheidet bei seinen Kindern zwischen vier Grundtypen. Es handelt sich um die Introvertierten, die Übereifrigen, die unbremsbaren Erzähler, die Hyperaktiv-Aggressiven. Die flicht er mit einer akrobatisch aufkommenden Rasanz in sein Schildern ein. Man sitzt im Kreis, versucht, besinnliche Ruhe zu schaffen, in sich zu gehen.

Auf dem Stimmungsbarometer geben die lieben Kinderchen ihre Befindlichkeit mittels Fixieren eines herzigen, kleinen Waschklämmerchens an. Deville weiss nun situativ erfassend, was auf ihn bis zur Znünipause zukommt; wie streng oder sehr anstrengend es für ihn wird. Mit hohem Tempo geht es durch den «Chindsgi»-Alltag. Alle in Näfels anwesenden Generationen gewinnen unweigerlich neue Erkenntnisse. Man erahnt, wie schwierig es sein kann, den hyperaktiven Spidermann zu bändigen, was es bedeutet, ihn aufs Bänkli im Korridor zu schicken, dies mit dem klaren Auftrag, ein Mandala zu fertigen. Man leidet, wenn man miterlebt, wie es vor der gemeinsamen Einnahme des Znünis abläuft. Man erahnt, was Redselige hinkriegen, wenn sie dem Kindergärtner innerhalb von zwei Minuten das Geschehen eines ganzen Wochenendes rapportieren und aufmerksamstes Zuhören fordern. Man merkt, wie aufopfernd und nervig Vorbereiten und Durchführen einer Geburtstagsparty im «Chindsgi» wirklich sind. Und voller Anteilnahme wohnt man dem Gespräch einer ums Wohl ihres Kindes sehr besorgte und stark kritisierenden Mutter bei. Und immer wieder sind es die kleinen Alltagspannen, die Leben und nie erwartete Abwechslung in die «Chindsgi»-Bude bringen. Dominic Deville versteht es, diese Erlebnisse in unnachahmlicher Art zu verweben, einen Unterhaltungscocktail zu mixen, der beim Konsumieren ungemein anspricht. Als Beispiel sei die erhellende Botschaft beim Einsatz der Duftkerzchen an der Geburtstagsfeier erwähnt, Deville setzt da bevorzugt die Mischung aus Sandelholz-Cannabis-Duft ein. Knallig gerät der Schluss mit jenem Märchen, in dem der schöne, junge Prinz der Schlange durch den dichten Wald folgt und immer wieder auf Verzweigungen stösst.

Da hält der meisterliche Erzähler inne, genehmigt sich einen Schluck des am Tresen der Beiz käuflich erworbenen Elixiers und lässt die Kinder entscheiden, ob es auf dem guten oder bösen Pfad weitergehen soll. Das überträgt er auf die erwachsenen Zuhörer, die mit dem Aufleuchten des Handy-Displays entscheiden. Immer wird der Weg des Bösen angwählt. Irgendwann sind der Teufel und das Fegfeuer Endstation. Es ist gar grauslich. Deville: Die Kinder wählen übrigens genau gleich … Und weil der Königssohn sein Leben verlor, endeten auch das schrecklichste Märchen der momentan gültigen Neuzeit und der Auftritt des mit vielseitigen Gaben ausgestatteten Meisters fast aller Bühnenkünste. Verabschiedet wurde Dominic Deville mit verdient starkem und langem Applaus. Einige hätten sich – so hörte man hinter vorgehaltener Hand – mit leichten Angstgefühlen auf den Heimweg gemacht.