Dr. med. Walter Blumer – jahrelanger beliebter Dorfarzt in Netstal feierte seinen 100. Geburtstag

Das Dorf am Fusse des Wiggis scheint ganz offensichtlich ein guter Nährboden zum richtig alt werden zu sein. Innerhalb weniger Monate konnten die Netstaler bereits ihren dritten Hundertjährigen feiern. Am Dienstag, 5. März, durfte im Kantonsspital Glarus im Zimmer 002 der langjährige und bei der Netstaler Bevölkerung sehr beliebte Dorfarzt Dr. med. Walter Blumer-Fierz im Kreise seiner Familie seinen 100. Geburtstag feiern.



Dr. med. Walter Blumer feierte seinen 100. Geburtstag und nimmt gerne die Gratulation von Regierungsrat Kaspar Becker entgegen (Bilder: hasp)
Dr. med. Walter Blumer feierte seinen 100. Geburtstag und nimmt gerne die Gratulation von Regierungsrat Kaspar Becker entgegen (Bilder: hasp)

Der Jubilar erfreut sich einer guten Gesundheit, erlitt aber leider zwei Tage vor seinem seltenen Wiegenfest einen folgenschweren Unfall, der einen Aufenthalt im Kantonsspital Glarus notwendig machte. Nichtsdestotrotz zeigte sich der noch rüstige Jubilar am Tage seines seltenen Jubiläums von seiner besten Seite, scherzte und frotzelte mit den zahlreich anwesenden Gästen, unter ihnen Regierungsrat Kaspar Becker, Gemeindepräsident Peter Aebli, Ratsschreiber Arpad Baranyi und Gemeindeschreiber Markus Rhyner.

Haben die gute Bergluft oder die glücklicherweise immer noch relativ intakte Natur bei uns im Glarnerland dazu beigetragen, dass Dr. Blumer auch mit hundert Jahren sich einer beneidenswert guten Gesundheit erfreuen darf.? Waren es seine ausgiebigen Bergtouren und Wanderungen in früheren Jahren gemeinsam mit seiner Gattin und später mit ihren Kindern, seine Reisen in fremde Länder oder gar sein legendärerer trockener Humor? Bei unserem Geburtstagskind Dr. Blumer könnte alles zutreffen, den in seinen jüngeren Jahren war unser Jubilar ein begeisterter Berggänger und Wanderer. Ein Beispiel seines sprichwörtlichen Humors lieferte der Jubilar anlässlich seiner Geburtstagsfeier im Kantonsspital « Ich hätte nie dänkt, dass ich als Arzt amäl ä dä Döggter im Spital folgä muess». Damit hatte er die Lacher rapido auf seiner Seite. Dr. Blumer war aber nicht nur Dorfarzt, sondern auch ein anerkannter Wissenschafter im Bereich Gesundheit. Dazu schreibt alt Lehrer Kurt Mayer auf der Homepage www.pronetstal.ch:

Der 1924 geborene Dorfarzt Dr. med. Walter Blumer stellte in den 50er-Jahren fest, dass viele seiner Patienten unter chronischen Kopfschmerzen litten. Es fiel ihm auf, dass die Anwohner an der Hauptstrasse dreimal mehr unter diesen Schmerzen litten als diejenigen in den Aussenquartieren. Er vermutete einen Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und Autoverkehr. Eine Bestätigung dieses Zusammenhanges zeigte sich darin: Wenn schmerzgeplagte Leute von der Strasse weg in ein Aussenquartier zogen, waren sie nach kurzer Zeit beschwerdefrei. Man wusste schon damals, dass das stetige Einatmen von kleinen Bleimengen nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch andere Störungen wie Müdigkeit, Depressionen, Nervosität, Schlaf- und Verdauungsstörungen zur Folge hat. Auch diese Beschwerden traten bei den Patienten, die an der Hauptstrasse wohnten, häufiger auf als bei den Bewohnern der verkehrsarmen Quartiere. Da nicht alle Leute dem Verkehr ausweichen konnten, wurden oft zu viele Medikamente geschluckt. Dr. Blumer wusste, dass Kalzium Blei bindet und über die Nieren ausscheidet. Nach einer vier- bis fünfwöchigen Behandlung mit Kalziumspritzen waren die meisten Patienten geheilt. Der Verbrauch von Medikamenten ging dank dieser Behandlung stark zurück. 

Unterstützung bekam er von seinem Kollegen Dr. Rudolf Jaumann, ebenfalls Dorfarzt in Netstal, und Professor Theodor Reich. Die drei suchten im amtlichen Totenregister sämtliche Krebstodesfälle von 1959 bis 1970 heraus und zeichneten den Wohnort der Verstorbenen auf dem Ortsplan der Gemeinde ein. Dabei zeigte sich, dass die Anwohner der Hauptstrasse viel häufiger an Krebs erkrankten und starben als die Bewohner der Aussenquartiere. Untersuchungen im Auftrag der Eidgenössischen Lufthygienekommission hatten bereits anfangs der 1950er-Jahre erhöhte Blutbleiwerte mit ähnlichen Symptomen beim Garagenpersonal, bei Tankwarten und Verkehrspolizisten nachgewiesen. Der Dorfarzt konnte wohl einige Artikel im Rahmen der Schweizerischen Gesellschaft für Sozial- und Präventivmedizin veröffentlichen, fand aber unter den einheimischen Medizinern kaum Beachtung. Er wurde einige Male für Vorträge in die USA, in die Tschechoslowakei, nach Holland, Deutschland und Frankreich eingeladen, doch im eigenen Land interessierte diese Thematik niemanden. «Der Prophet im eigenen Land gilt nichts». Eine zu mächtige Lobby widersetzte sich einem Bleiverbot im Benzin. Walter Blumer nahm Kontakt mit besorgten Parlamentariern auf; diese beklagten sich aber über die gleichen Widerstände der verschiedenen Lobbys. Der Automobilclub und die Autoimporteure bekämpften dieses Verbot und drohten allen Zeitungsredaktionen mit einem Inseratenstopp bei missliebigen Beiträgen. 

Dem amerikanischen Forscher Clair Patterson ging es ähnlich wie der Netstaler Forschergruppe, niemand hörte auf ihn. Doch 1986 konnte sich die Vernunft in den USA durchsetzen und das verbleite Benzin wurde verboten.

Die Erfahrungen von Dr. Blumer hat der Rentsch-Verlag 1973 in einem heute vergriffenen Büchlein mit dem Titel «Motorisierung Seuche des Jahrhunderts» publiziert. Immerhin hat die Schweiz, unter dem Druck der EU, mit der Luftreinhalteverordnung nachgezogen. Ab dem 1. 1. 2000 wurde das Bleibenzin aus den Tanksäulen verbannt und gleichzeitig der Benzolgehalt gesenkt. «Was lange währt, wird endlich gut», auch wenn der eigentliche Grund nicht die Gesundheit der Menschen, sondern der bleiunverträgliche Katalysator war. Wenn man auf Dr. Walter Blumer gehört hätte, wäre das Verbot von verbleitem Benzin schon mehr als zwanzig Jahre früher ausgesprochen worden.

Wir gratulieren an dieser Stelle unserem Dr. Walter Blumer-Fierz herzlich zu seinem seltenen 100. Geburtstag und wünschen ihm weiterhin beste Gesundheit, Glück und Gottessegen und viel «Gfreuts».