Drei Tage Simulatorflug

Der Verband BirdLife Schweiz, dem 430 Naturschutzvereine mit total 68 000 Mitgliedern angehören, feiert heuer seinen 100. Geburtstag. Deshalb spendierte er dem Glarnerland drei Tage Insektenflugsimulator. Auch die Regierung wagte sich auf den Flugsimulator, wobei Regierungsrat Andrea Bettiga als «Insekt» dem Neuntöter in den Schnabel flog.



Regierungsrat Markus Heer, Martin Stützle, Barbara Zweifel-Schielly, Raffael Ayé und Suzanne Oberer-Kundert (von links). (Foto: FJ)
Regierungsrat Markus Heer, Martin Stützle, Barbara Zweifel-Schielly, Raffael Ayé und Suzanne Oberer-Kundert (von links). (Foto: FJ)

Der Neuntöter – Vogel des Jahres 2020 – ernährt sich von Insekten und ist deshalb ein guter Botschafter für die Ökologische Infrastruktur. Im Flugsimulator «frisst» er jene Insekten, die zu hoch fliegen, das erlebten auch Regierungsrat Andrea Bettiga oder Fotograf Sasi Subramaniam bei ihren «Testflügen». Doch was ist mit der Ökologischen Infrastruktur gemeint?

Biodiversitätskrise

Von den Brutvögeln in der Schweiz sind – laut Auswertungen der Vogelwarte Sempach – 40 Prozent gefährdet. Die Schweiz hat die längste Rote Liste Europas und den geringsten Prozent-Anteil an Naturschutzgebieten europaweit. Trockenwiesen und -weiden verschwinden, Insekten verschwinden, Vögel verschwinden – das führt zur Biodiversitätskrise. Die Landsgemeinde 2022 verankerte die Erhaltung und Förderung der Biodiversität gesetzlich, sodass jetzt eine umfassende Biodiversitätsstrategie erarbeitet werden kann. Weil jede Tier- und Pflanzenart auf geeignete Lebensräume angewiesen ist, verfügte der Bundesrat die Schaffung einer Ökologischen Infrastruktur, also eines schweizweiten funktionierenden Netzes aus Flächen, die für die Biodiversität wichtig sind. «Vögel», so Martin Stützle von BirdLife Glarnerland, «sind ein einfacher Indikator für die Qualität eines Lebensraums. Deshalb setzt sich BirdLife für die Biodiversität ein.» 

Information im Naturzentrum

Eine kleine Ausstellung im Naturzentrum Glarnerland – dort war auch der Flugsimulator aufgestellt – zeigt anhand der Trockenlebensräume, wo es solche im Glarnerland schon gibt und wo die Arten leben, die typisch für diese Lebensräume sind. Sie zeigen, wo weitere wertvolle Flächen für Trockenlebensräume sein könnten. Diese gilt es dann zu schützen und zu vernetzen, um eben eine funktionierende Ökologische Infrastruktur zu schaffen. Davon profitiert wiederum der Mensch, weil diese Räume Landwirtschaftsland vor Erosion schützen, für die Bestäubung der Kulturen und für sauberes Trinkwasser sorgen. «Wir haben mit der Landwirtschaft positive Erfahrungen gemacht», sagt Raffael Ayé von BirdLife Schweiz. «Die Landwirte sind offen für die Anliegen der Biodiversität.» Schwieriger ist das mit Landwirtschaftsverbänden. Hier vertreten Profis die Interessen der Landwirtschaft, während z.B. bei BirdLife fast alles auf Freiwilligenarbeit beruhe, so Präsidentin Suzanne Oberer-Kundert. «Doch wir haben uns selbst auferlegt, zu Anwälten der Natur zu werden.» In Tausenden von Stunden werden dazu Naturperlen geschaffen und aufgewertet – von diesen 68 000 Begeisterten, welche in Stadt und Land etwas für die Natur tun wollen.

Information im Zentrum

Nicht umsonst war «Bildungsminister» Regierungsrat Markus Heer am Montag vor Ort. Denn Information für Jung und Alt ist der Schlüssel – sei es beim persönlichen Verhalten oder auch bei der Garten(nicht)pflege. «Früher», so Suzanne Oberer, «kannten die Menschen die Vögel und auch die Kreisläufe, sie lebten mit diesen Kreisläufen. Heute geht es darum, dieses Wissen mit Spiel und Witz wieder zu vermitteln.» Genau das haben sich Barbara Zweifel-Schielly und Monica Marti-Moeckli vom Naturzentrum Glarnerland – genau wie BirdLife – zur Aufgabe gemacht.

Denn die ökologische Infrastruktur ist – trotz vieler Anstrengungen – nach wie vor nicht intakt. Zwar werden überall Wildbienenhotels aufgehängt, doch fehlen mehr denn je die Blumenwiesen. Wenn es aber keine Blumenwiesen gibt, so fehlt der Biene das «Restaurant», um zu essen, und dem Vogel (und dem Menschen) fehlt wiederum die Wildbiene. Deshalb sammelt «Mission B» in der Schweiz Biodiversitätsflächen, darunter auch kleine Privatgärten. Bis jetzt wurden im Kanton Glarus 5800 Quadratmeter Biodiversitätsfläche «gesammelt», das sind Gärten, die im Herbst nicht sauber «aufgeräumt» werden, wo Blumenstängel und Äste stehen- und liegenbleiben, wo nicht alles gemäht wird, wo Hecken wachsen und Büsche, die Vögeln Nahrung für den Winter geben. «So einen Garten muss man im Winter dann auch vier bis fünf Monate aushalten, dafür können in den Stängeln die Eier und Larven für die nächste Insektengeneration heranwachsen», so Stützle.