Ein Zeichen für die Wiedergutmachung

Im altehrwürdigen Hänggiturm in Ennenda wurde in einer feierlichen Zeremonie und bereits zum dritten Mal der Anna-Göldi-Menschenrechtspreis verliehen. Dieser Preis ist eine Auszeichnung für Persönlichkeiten, die sich in der Gegenwart für Menschenrechte und gegen Justizwillkür einsetzen. Die diesjährigen Preisgewinner sind der erfolgreiche Schriftsteller Arthur Honegger und die in jugendlichem Alter zu Unrecht administrativ Versorgte Ursula Biondi.



Ein Zeichen für die Wiedergutmachung

Der diesjährige Anna-Göldi-Gedenktag vom letzten Samstag, 13. Juni, stand ganz im Zeichen der Verdingkinder und der administrativ Versorgten. In diesem Jahr zeichnete die Anna-Göldi-Stiftung zwei Persönlichkeiten aus, die sich um die Verdingkinder speziell auszeichneten. Die Preisträger 2015 sind der Schriftsteller Arthur Honegger und Ursula Biondi. Beide sind mit den Schicksalen der Verdingkinder und den administrativ Versorgten eng verbunden. Die Veranstaltung fand zum ersten Mal im altehrwürdigen Hänggiturm in Ennenda statt, gleichzeitig Ort des künftigen Anna-Göldi-Museums. Musikalisch wurde die Feier umrahmt von den «Müsiaque». Stiftungsratsmitglied Fridolin Elmer hiess die geladenen Gäste, unter ihnen der Menschenrechtspreis-Empfänger aus dem Jahre 2009, Prof. Luzius Wildhaber, ehemaliger Präsident des Europäischen Gerichtshofs in Strassburg, sowie alt Bundesrätin und zugleich Stiftungsratsmitglied Elisabeth Kopp in den fantastischen Räumlichkeiten des Hänggiturms herzlich willkommen.

Wenn schreiben mehr als schreiben ist

Die Laudation für Arthur Honegger hielt kein Geringerer als der bekannte, langjährige Verleger Hans Rudolf Frey. «Diesem Mann – Arthur Honegger – ist wahrlich zu danken. Dafür dass er, der von diesem Land als junger Mensch, als Pflegekind erst, als Verdingbub später, alle Demütigungen zu erleiden hatte, die eine so oft so gleichgültige Gesellschaft jemandem antun konnte, dass er all dies überstanden hatte, ohne Hass und Wut zu enden, ohne diesem Staat seinerseits die Hilfe zu versagen, ohne Glauben an die Gesellschaft zu verlieren und dabei – wie schön – erst noch ein positiver und fröhlicher Mensch geblieben ist. Wer geschlagen und gedemütigt wurde, wer Hunger gelitten und nach Gerechtigkeit und Anerkennung gedürstet hat, wer alle Gründe gehabt hätte, dieser Gesellschaft den Rücken zuzukehren und dennoch vorbildhaft das Gespräch mit den Jungen auf der Strasse, damals in den mit Tränengas geschwängerten Kellern des Globus-Provisoriums und heute in den Schulen gesucht hat uns sucht, um ihnen zu sagen, dass Gewalt nicht mit Gewalt in Frieden enden kann, dem ist zu danken. Das ist menschliche Grösse!» Die eindrücklichen Worte von Laudator Frey an den grossartigen Menschen «Turi» Honegger endeten in einem warmen Applaus der anwesenden Gäste.

Lebensläufe ähneln sich

Guido Fluri, erfolgreicher Unternehmer und «Vater» der Wiedergutmachungs-Initiative für die Entschädigung von Verdingkinder, hielt die Laudatio für Ursula Biondi. «Jedes Schicksal ist in sich einzigartig! Und doch können Schicksale im Leben, auch wenn sie 200 Jahre zurückliegen, Ähnlichkeiten aufweisen, wie bei Anna Göldi und Ursula Biondi. Beide Lebensgeschichten nahmen eine tragische Wendung wegen krasser Justizwillkür und wegen Missbrauch des Rechts! Während Ursula Biondi als 17-Jährige völlig unverschuldet ins Gefängnis kam, allein darum, weil sie frühzeitig schwanger wurde und man ihr dort ihr Kind zur Adoption wegnehmen wollte, wurde Anna Göldi unter völlig abstrusen Beschuldigungen inhaftiert und mit einem erzwungenen Geständnis schliesslich zum Tode verurteilt. Bei Anna Göldi dauerte es über200 Jahre, bis engagierte Frauen und Männer die Rehabilitierung von Anna Göldi erreichten. Heute sprechend Historiker von einem Justizmord! Ursula Biondi dagegen, die vor 50 Jahren unschuldig ins Frauengefängnis Hindelbank kam, konnte ihren steinigen Weg in die Freiheit selber erkämpfen. Wie viele Demütigungen, haltlose Anschuldigungen und ungerechte Behandlungen in diesem Kampf Ursula Biondi über sich ergehen lassen musste, ist irreal und unvorstellbar. Nach unzähligen Zeitungsartikeln und Berichten entschuldigte sich im Jahre 2010 der Bundesrat bei den administrativ Versorgten, später kam die Rehabilitierung durch das Parlament hinzu. Für Ursula Biondi war diese Entschuldigung wichtig, wie sie selber sagte. Die Wunden, die ihr zugefügt wurden, konnten so zu heilen beginnen, auch wenn die Narben nie verschwinden werden. Als Mitinitiantin der Wiedergutmachungsinitiative, als Betreuerin und Stütze anderer Betroffener, als unermüdliche Sammlerin von Unterschriften, vor allem aber als Zeitzeugin, die an Schulen, Universitäten oder auf der Strasse ihre Geschichte erzählte, hat die Preisträgerin Biondi Grossartiges geleistet. «Wenn jemand den Menschenrechtspreis der Anna-Göldi-Stiftung verdient, dann bist es du, liebe Uschi!» Mit diesen sehr persönlichen Worten gratulierte Laudator Fluri der sichtlich und emotional sehr berührten Preisträgerin zu dieser wertvollen Auszeichnung.

Dankesworte gingen unter die Haut


Mit warmen Dankesworten für die Entgegennahme des diesjährigen Anna-Göldi-Menschenrechtspreises schilderten beide Preisträger im Anschluss nochmals in eindrücklichen, von Emotionen getragene Worten von ihren grauenhaften Erlebnissen und menschenunwürdigen Behandlungen während ihrer Zeit als Verdingkind, wie Arthur Honegger oder administrativ Versorgte, wie Ursula Biondi. Worte, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gingen.

Filmvorführung und Fotoausstellung


Das nachmittägliche Programm beinhaltete eine Filmvorführung mit dem Titel «Verdingkinder reden» sowie eine tolle Bilderausstellung des legendären Fotografen Paul Senn und neueren Porträts von ehemaligen Verdingkindern des jungen Glarner Fotografen Samuel Trümpy