«Einsame Spitze» – oben und doch unten

Extremkletterei bedeutet zumeist knochenhartes Auseinandersetzen mit alpinistisch Herausforderndem, Erklimmen steiler Wände auf dem Weg zu jenem Gipfel, den man selber ausgewählt hat. Derartige Prozesse sind für Fitness, Geschick, blindes Vertrauen ins Können des mitkletternden Partners, Beherrschen der gängigen Techniken und das Wissen um eigene Stärken und Fertigkeiten zielführend, machen Sinn. Alles muss zusammenstimmen, sonst drohen das Scheitern, der Sturz. Einsame Spitzen gilt es zuweilen auch zu erklimmen, wenn der Berg gar nicht im Vordergrund steht, wenn eine Berg- und Talfahrt an Gefühlen, Erlebnissen Konfrontationskurs bedeutet.



Gian Rupf und René Schnoz spielten in Glarus. (Bilder: p.meier)
Gian Rupf und René Schnoz spielten in Glarus. (Bilder: p.meier)

Dieser Weg – war es gar ein Irrweg, ein Abwenden von der gelebten und erlebten Realität – wurde im Bergtheater, genauer vor der Kulturbuchhandlung Wortreich in Glarus in gar intensivem und leidenschaftlichem Spiel ausgedrückt. Gefühlvoll, heftig, träumend, grossmaulig, in trunkenem Wahn, grobschlächtig, beschwörend, flehend wurde agiert. Dank einem Hoch, das Alpinisten und Besucher gleichermassen nach draussen lockte, wurde eine aus zahllosen Harassen bestehende Spielfläche aufgebaut. Die Bühnenelemente konnten rassig umgeschichtet, neu zusammengestellt werden. Der natürliche Hintergrund mit Wiggis, Fabrikbauten und grossen Bäumen war keineswegs Gegensatz, war ins Geschehen zuweilen wie einbezogen.

Und die Handlung hatte es in sich. Noch begrüsste Christa Pellicciotta, Geschäftsführerin der Buchhandlung, aus der Höhe, sinnrichtig einstimmend. Das Stück schrieb Roland Heer, Extremkletterer, Alpinist, Autor im Auftrag der Akteure. Die langen Texte forderten spürbar. Synchrones Sprechen, voneinander zuweilen abgewendet, war für Duri und Hitsch, die beiden seit ihrer Jugend Befreundeten, nicht eben einfach. Mit einer Stimme ab Band wurden die wechselvollen, leidenschaftlichen Aussagen ergänzt. Die Berggänger stimmen nicht einfach auf Kommendes ein, zu oft werden sie von Vergangenem eingeholt, schmieden Angedachtes lustvoll weiter, die Harassenburg umkreisend, sich hineinbegebend. Dabei einherphilospohierend. Vieles ist seit der gemeinsamen Jugend passiert. Jeder war auf einem anderen Weg unterwegs; einer blieb Single, der andere outet sich als member of his familiy steht einer Montaintrek-Unternehmung vor, wirft mit englischen Vokabeln spürbar lustvoll um sich, telefoniert rum – businesslike notwendig, ist technisch auf dem neuesten Stand. Von der einstigen Freundschaft spürt man wenig. Gemeinsames Ziel ist, kurz vor dem Fünfzigsten die sehr fordernde alpine Route mit dem verlockenden Titel «Paradise now» zu begehen. Ob es gelingt, wird gar nicht erst diskutiert. Schliesslich hat man sich zu diesemBergerlebnis getroffen. Auf dem Weg wird geredet und geredet, gesoffen, pausiert, telefoniert, mit Weisheiten nur so um sich geworfen, Derbes vor gar Primitivem nicht Halt machend, zusammengereimt – stets lustvoll, launig, immer trunkener. Sie stellen fest, dass nach getanem Wortschwall, «Paradise now» gebongt sei. Man checkt die Ausrüstung und den inneren Zustand (kohlehydratmässig, Pulstätigkeit) intensiv durch. Nun geht es los: „Allzeit bereit, zum Fressen und zum Fight“. Duri und Hitsch charakterisieren sich, der eine habe einiges auf dem Kasten, der andere sei ein sagenhaft schräger, vielseitig flatternder Vogel. Das kommt so locker, unbedarft einher. Man klammert den Umgang mit Angst, den Traum nach Liebe und Geborgenheit, Erfolge und Misserfolge in Persönlichem aus, tönt es einfach mal an, um irgendwann mit absoluit eruptiven Ausbrüchen aufzuwarten. Das kommt unerwartet, heftig einher.

Bald einmal lauscht man sehr aufmerksam hin, fischt Nuancen auf, spürt Dramatik, Hilflosigkeit, Wehmut, Hang zum Versagen, Resignation hinter scheinbar so starken, soliden Fassaden. Selbst der Gipfel, die Spitze des Erfolgs, ist brüchig, steinschlaggefährdet. Die deftige Stimmung in der Hütte, der Stätte des Uebernachtens, Mampfens, Ort der absoluten Besäufnis und Geilheit, das fiktive Gespräch mit Bergfreund Reinhold (dem Messmer) ist letzte Station vor dem finalen, in frühesten Morgenstunden beginnenden Erklimmen . Die Wortakrobatik nimmt kein Ende, wird zur zuweilen schlüpfrigen Wortlawine.

Der Berg sei etwas Göttliches, für alpine Gutmenschen besonders geeignet. Es tun sich Abgründe auf, nicht bloss am Berg. Gesichter werden zu Geröll, mit riesigem Kater geht es an Kratern vorbei. Es wird über Krebserkrankung, Schwierigkeit der Besteigung, Mithilfe bei einer dramatischen Rettungsaktion diskutiert, sich hineingelebt. Es reicht irgendwie – oder doch nicht ganz – zur Goldenen Besteigung. Kalauernd erfolgt der Abschied: «Es ist schlecht geloffen, viele Fragen sind noch offen.»