«Elektronische Unterstützung der Abstimmungen an der Landsgemeinde»

Dem Landrat wird beantragt, vom Bericht «Elektronische Unterstützung der Abstimmungen an der Landsgemeinde» Kenntnis zu nehmen, den entsprechenden Prüfauftrag als erledigt abzuschreiben sowie auf eine vertiefte Prüfung eines Systems zur elektronischen Unterstützung der Abstimmungen an der Landsgemeinde zu verzichten.



(Bild: Archiv)
(Bild: Archiv)

Ausgangslage

Ende Oktober 2008 erteilte der Landrat dem Regierungsrat im Zusammenhang mit der Behandlung des später abgelehnten Memorialsantrags «Durchführung einer Urnenabstimmung bei nicht eindeutigem Mehr an der Landsgemeinde» den Auftrag, die elektronische Unterstützung der Abstimmungen an der Landsgemeinde vertieft zu prüfen. Aus verschiedenen Gründen verzögerte sich die Erarbeitung des Berichts. Ab Herbst 2015 befasste sich eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des emeritierten ETH-Professors Bernhard Plattner mit der Durchführung der Analyse. Ende Januar 2016 lag der Bericht vor. Dieser wurde dem Regierungsrat Mitte Juni 2016 vorgestellt und anschliessend eingehend diskutiert.

Ergebnisse des Expertenberichts

Die Experten nahmen verschiedene Abklärungen vor, erörterten diverse Verfahren und stellten diese dem vorgängig definierten Anforderungskatalog gegenüber. Nebst der technischen (und theoretischen) Machbarkeit standen insbesondere auch Fragen im Vordergrund, die sich auf den praktischen Einsatz einer elektronischen Abstimmungshilfe bezogen. Die Experten kommen in ihrem Bericht zusammenfassend zu folgendem Schluss:

«(…) Die untersuchten Verfahren können in zwei Klassen eingeteilt werden:

(1) Verfahren mit drahtloser Kommunikation, die potenziell eine genaue Zählung der Stimmen ermöglichen und (2) Verfahren mit fotografischer Erfassung von Abstimmungen und nachfolgender Bildverarbeitung, die potenziell eine genügend genaue Schätzung der Abstimmungsresultate erlauben.

Ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der untersuchten Verfahren war die Anforderung, dass der einzigartige Charakter der Landsgemeinde, an welcher jeweils zwischen 9000 und 12 000 Stimmberechtigte teilnehmen, nicht verändert werden soll. Offensichtliche weitere Kriterien waren die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Verfahren vor Manipulation und Störung sowie die Forderung nach einer mindestens gleich hohen Anonymität der Stimmabgabe, wie sie die Landsgemeinde heute bietet.

Die Arbeitsgruppe kommt zum Schluss, dass zum heutigen Zeitpunkt keines der betrachteten Verfahren unmittelbar für den Einsatz empfohlen werden kann, da noch zu viele Fragen betreffend deren Eignung, Leistung und Sicherheit offen sind. Sie empfiehlt, zur Beantwortung der offenen Fragen an Hochschulen oder Fachhochschulen entsprechende Projekte mit Studierenden durchführen zu lassen.»

Auch wenn zum heutigen Zeitpunkt keines der betrachteten Verfahren unmittelbar für einen Einsatz zur Verfügung steht, ist es keine Frage, dass eine technische Lösung heute machbar ist. Je nach Anforderungen an die Genauigkeit und Sicherheit sind die Verfahren aber technisch wie auch logistisch mit grösseren Herausforderungen verbunden. Der Expertenbericht ist in der Geschäftsdatenbank des Landrates auf www.gl.ch abrufbar.

Stellungnahme des Regierungsrates

- Notwendigkeit: Das Abstimmungsverfahren an der Landsgemeinde beruht auf althergebrachter Tradition und ist auch bei knappen Entscheiden unbestritten. Anfang der 90er-Jahre wurde eine Beschwerde nach umstrittener Abstimmung vom Bundesgericht abgewiesen und nach dem Gemeindestrukturreform-Entscheid von 2006 wurde eine ausserordentliche Landsgemeinde gefordert. Diese bewies die Reife, Kraft und Verankerung dieser Institution in der Bevölkerung und war auch ein Vertrauensbeweis für den Landammann bzw. das Abstimmungsverfahren. In den vergangenen fünf Jahren gab es fünf Abstimmungen, die ein dreimaliges Ausmehren – unter Beizug der vier weiteren Mitglieder des Regierungsrates – erforderten. Auch diese Entscheide führten letztendlich nicht zu Kritik am Abstimmungsverfahren. Das Abschätzen des offenen Mehrs durch den Landammann geniesst hohe Akzeptanz in Politik und Bevölkerung. Es ist ein sehr einfaches und effizientes Verfahren. Der jährlich neu abgegebene, farbige Stimmrechtsausweis verbesserte zudem das Verfahren, indem er das Ermitteln des Mehrs erleichtert.

- Einfluss von elektronischen Abstimmungshilfen auf das Wesen der Landsgemeinde: Die Ausgestaltung des Abstimmungsverfahrens ist ein wesentliches Merkmal der Glarner Landsgemeinde-Demokratie. Eine Anpassung der Methodik zur Ermittlung des Mehrs hat deshalb unweigerlich auch einen mehr oder weniger starken Einfluss auf das Wesen der Landsgemeinde. Diskutiert man den Einfluss elektronischer Abstimmungshilfen auf das Wesen der Landsgemeinde, ist die Auseinandersetzung mit der Stellung des Landammanns und seiner Entscheidkompetenz unausweichlich. Zwar könnte der Entscheid über den Ausgang einer Abstimmung auch bei einem Einsatz eines digitalen Verfahrens mit exakter Erfassung der Stimmen beim Landammann verbleiben. Faktisch ist es jedoch undenkbar, dass der Landammann anders entscheiden würde, als das exakte Verfahren vorgibt. Dies insbesondere auch deshalb, weil das elektronisch erfasste Ergebnis wohl transparent gemacht werden müsste, um allfälligem Misstrauen entgegenwirken zu können. Bei einer Verwendung eines digitalen, exakten Verfahrens kann also nicht mehr von einer blossen Unterstützung zugunsten des Landammanns die Rede sein. Artikel 67 der Kantonsverfassung wäre obsolet.

Bei einer Verwendung eines analogen Verfahrens, welches eine Schätzung der Stimmenzahl erlaubt, akzentuiert sich das Problem mit der Vorwegnahme des Entscheids des Landammanns. Denn auch bei einer Angabe des Abstimmungsresultats auf wenige Stimmen genau ist es nur schwer vorstellbar, dass der Landammann entgegen der Schätzung des Systems entscheidet – dieses Mal jedoch, ohne dabei zu wissen, ob dies tatsächlich dem Abstimmungsresultat entspricht. Denkbar sind zwar auch Systeme, welche dem Landammann lediglich – etwa visuell – einen Eindruck der Kräfteverhältnisse liefern und so als Unterstützung dienen. Die Interpretation dieser Eindrücke entspräche jedoch dem Status quo und würde kaum einen Mehrwert liefern.

Es stellt sich im Weiteren die Frage, wann eine Abstimmungshilfe zum Einsatz käme bzw. wer darüber entscheiden würde. Naheliegend wäre es, wenn der Verhandlungsleiter, also der Landammann, darüber befindet. Allerdings würde sich die Problematik der begrenzten Fähigkeit des Landammanns, die Stimmverhältnisse genau abzuschätzen, auf den Entscheid über den Einsatz der elektronischen Abstimmungshilfe verlagern: Es müsste definiert werden, wann die Mehrheitsverhältnisse knapp genug sind, um einen Einsatz zu rechtfertigen. Dies könnte umgangen werden, indem die Abstimmungshilfe standardmässig bei jeder Abstimmung eingesetzt würde. Dies würde jedoch die Effizienz des Verfahrens beeinträchtigen, da auch bei klaren Verhältnissen die Stimmabgaben zuerst erfasst, verwertet und dargestellt werden müssten.

Das Akzeptieren des Entscheids des Landammanns auch durch die Unterlegenen sowie das Vertrauen in den Verhandlungsleiter, dass dieser seine Stellung nicht zu eigenen Gunsten ausnützt, sind wesentliche Pfeiler der Glarner Versammlungs-Demokratie. Diese Attribute sind geradezu charakteristisch für die Landsgemeinde. Sie fallen weg, wird das Ergebnis durch elektronische Systeme ermittelt.

- Stimmabgabe von ausserhalb des Rings: Im Kontext der elektronischen Abstimmungshilfe kam auch der Vorschlag auf, durch neue Verfahren die Teilnahme von Personen an den Abstimmungen zu ermöglichen, die nicht im Ring anwesend sind. Damit sollten die geringe Partizipation und die Probleme bezüglich des Ausschlusses gewisser Bevölkerungskreise (Arbeitnehmende, die am Sonntag arbeiten müssen, Gebrechliche usw.) gemildert werden. Ein solches Verfahren wurde zwar nicht explizit auf die technische Machbarkeit hin untersucht, erscheint mit Blick auf bestehende E-Voting-Systeme und die Möglichkeiten von Smartphones aber als machbar, wenngleich hier bezüglich Sicherheit hohe Anforderungen erfüllt werden müssten. Eine Trennung der Stimmabgabe vom Ort der Versammlung würde das Wesen der Landsgemeinde jedoch radikal verändern. Die Unmittelbarkeit von Diskussion und Entscheid wäre nicht länger vorhanden. Sie ist jedoch einer der wesentlichsten Vorteile der Versammlungsdemokratie. Daran ändert auch die theoretische Möglichkeit, die Debatten per Video zu übertragen, nichts. Denn wer zu Hause sitzt, kann sich nicht an der Debatte beteiligen. Im kleineren Ausmass stellt sich dieses Problem im Übrigen auch bei der Verwendung speziell für die Landsgemeinde entwickelter Abstimmungsgeräte. Will man sicherstellen, dass nur Personen im Ring an einer Abstimmung teilnehmen können, müsste das Abstimmungsgerät bei einem zeitweiligen Verlassen der Versammlung abgegeben werden.

- Kosten: Der Expertenbericht zählt diverse Verfahren auf, die für die elektronische Unterstützung der Abstimmungen an der Landsgemeinde eingesetzt werden können. Drei davon sind zur weiteren Prüfung empfohlen. Ihnen ist gemein, dass sie erst noch entwickelt werden müssen und entsprechend noch nicht erprobt sind. Der Entwicklungsaufwand ist als hoch einzuschätzen. Beim vorgeschlagenen digitalen Verfahren kommen der Aufwand für die Anschaffung der benötigten Geräte sowie der hohe jährlich wiederkehrende Aufwand hinzu: Wie im Expertenbericht ausgeführt, müssen die Geräte zwischen den Landsgemeinden gewartet, gelagert und auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft werden. Vor der Landsgemeinde müssen die Geräte ausgeteilt und nach Versammlungsende wieder eingesammelt werden. Ein vom Prinzip her gleiches System wird heute an Aktionärsversammlungen verwendet. Das heute grösste in der Schweiz eingesetzte System einer Grossbank ist eine Eigenentwicklung; die Zahl der Teilnehmenden ist jedoch auf 5000 beschränkt. Zudem ist der Betrieb unter freiem Himmel fraglich und bisher nicht erprobt. Die eingesetzten Abstimmungsgeräte wie auch die notwendige Infrastruktur müssen daher speziell für die Verwendung anlässlich einer Landsgemeinde weiterentwickelt werden. Die dafür zu budgetierenden Kosten sind erheblich (nach Aussage des Experten im siebenstelligen Bereich). Der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur ist nach Aussage des Leiters der zuständigen Abteilung ebenfalls sehr teuer (im sechsstelligen Bereich).

Weniger aufwendig wäre der Einsatz eines der beiden vorgeschlagenen analogen Verfahren mit fotografischer Erfassung der Abstimmungen (bzw. der Stimmkarten). Der Vorteil eines solchen Systems läge in der Logistik, da es in den Aufbau des Landsgemeinderings integriert werden könnte und es vonseiten der Stimmbürger nur den Einsatz der Stimmkarte (normal oder elektronisch) bedürfte. Völlig wegfallen würde der Aufwand für Verteilung, Einzug und Wartung von Endgeräten. Dennoch dürften die Entwicklungs- und Anschaffungskosten auch hier im sechsstelligen Bereich liegen. Eine exaktere Angabe der Kosten ist auch hier aufgrund des zu betretenden Neulands nicht möglich.

Fazit

Der Regierungsrat ist sich durchaus bewusst, dass die Landsgemeinde-Demokratie auch Nachteile hat. Nebst den eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten und dem fehlenden Stimmgeheimnis gehört auch die mit einer gewissen Fehlermarge verbundene Ermittlung des Mehrs durch den Landammann dazu. Der Regierungsrat ist bestrebt, diese Makel zu beheben, solange das Wesen der Landsgemeinde und deren Vorteile – etwa die Unmittelbarkeit von Diskussion und Entscheid sowie das besondere Vertrauen in die Institutionen als Merkmal der politischen Kultur im Glarnerland – nicht tangiert werden.

Der Einsatz von elektronischen Abstimmungshilfen jedweder Art führt faktisch dazu, dass der Landammann die ihm in der Verfassung zukommende Entscheidkompetenz verliert. Damit wird auch ein wesentliches Merkmal der Landsgemeinde obsolet. Es geht auch um eine Frage des Vertrauens in die Politik und in die Institution Landsgemeinde. Ohne Vertrauen in diese und dass der Landammann die ihm zukommende Entscheidungsgewalt mit Umsicht und im Sinne des Volkes ausübt, hat wohl auch die Landsgemeinde keine Zukunft.

Einen Eingriff in die bewährten Abläufe vorzunehmen, ohne dass das Verfahren überhaupt in Frage gestellt wird bzw. Handlungsbedarf besteht, macht aus Sicht des Regierungsrates keinen Sinn. Kommt hinzu, dass die Entwicklung, die Anschaffung und allenfalls die Logistik sowie der Unterhalt hohe Kosten verursachen. Dieser Aufwand erscheint angesichts des geringen Problemdrucks und der geringen Zahl an Fällen, in denen eine elektronische Abstimmungshilfe allenfalls einen Mehrwert liefern könnte, unverhältnismässig. Trotz der verbesserten technischen Möglichkeiten ist das bisherige Verfahren mit Abschätzen des Mehrs durch den Landammann vorzuziehen.