Erich und Gerda – szenische Lesung in Glarus

Mit seinem Romanzyklus «Menschliche Regungen» hat sich Tim Krohn, heute mit seiner Familie im Münstertal wohnhaft, einen verdient hohen Bekanntheitsgrad geschaffen. Es war das Verdienst der organisierenden Kulturbuchhandlung wortreich in Glarus Irina Schönen und Gian Rupf für eine szenische Lesung zu engagieren. Und das Kommen hatte gar niemand zu bereuen. Mit umfassendem «Gschpüri» schlüpften die Erzählkünstler in Rollen, die ihnen offensichtlich behagten und die sie mit viel Geschick zu wechselvollem Leben erweckten.



Irina Schönen (Bilder: p.meier)
Irina Schönen (Bilder: p.meier)

Sie hauchten den Dialogen, wie sie in Tim Krohns Romanen vorkommen, eine Lebensfülle ein, die ganz viel Anteilnahme weckte, die Vergnügliches, Trauriges, Erkenntnisse und mannigfaltige Überlegungen zum Inhalt hat. Sie verkörpern das Leben eines alten Ehepaars, sind beide, romangebunden, über achtzig Jahre alt und haben ihr Leben in einer stadtzürcherischen Genossenschaftswohnung verbracht. Sie bergen eine Fülle von Ansichten, sie hinterfragen, beurteilen, resignieren zuweilen, suchen Neues, lassen Belastendes liegen, reden übers Wegscheiden, beziehen Nachbarn, Freunde, ihren Sohn und andere Personen mit ein und rufen damit ein Begegnen in kunstvoller Weise wach. Sie gewähren ganz vielen Gefühlen Raum und fordern damit zum eigenen Reflektieren auf.

Nachdem Christa Pellicciotta, Geschäftsführerin der Buchhandlung, wie gewohnt auf Kommendes hingewiesen hatte, wurde man auf eine etwas mehr als eine Stunde umfassende Reise mitgenommen. Gelesenes wurde hin und wieder durch scheppernde Klänge aus einem kleinen Radio untermalt, mit Liedtexten und Melodien aus ganz früheren Zeiten.

Gespräche zwischen Erich und Gerda ergaben sich vor allem nachts, wenn sie aus irgendwelchen Gründen wach waren. Es wurde übers Ableben, über Reisen in fremde Länder, Liebgewordenes und Vertrautes, über Charakterzüge, Erfahrungen und Kontakte mit Nachbarn, den vertrauten Alltag mit all seinen Gewohnheiten, samt ärztlichen Ratschlägen, Morgenessen, Geplantes und anderes geredet, klagend, dann wieder verständnisvoll, mit Klarheit und altersgerechter Logik. Es sind liebenswürdige Dialoge, die alles enthalten, was zu diesem Alltag gehört. Es wird gefragt, ob man den Tod höre oder ob es doch das einst vertraute Klappern der Schreibmaschine sei. Gerda und Erich Wyss, beide 81 Jahre alt, wollen nicht, dass der Tod schon anklopft, dass sich das Ende abzeichnet. Es ist eine innige Zeit, die mit knappen Worten dargestellt ist. Da ist nichts Schrilles, Aussergewöhnliches dabei. Es ist das Leben in der Wohnung, die Verweigerung in ein Heim zu wechseln. Es ist das genüssliche, recht detaillierte Zurückerinnern an Vergangenes, an irgendwelche Ferien, ans Verweilen, das Betrinken, an einst gegenseitig Leidenschaftliches. Griechenland ist für diese Momente Aufhänger.

Alles wächst zu einer tollen Erzählstunde, mit ganz viel Beseeltem, inneren Schönheiten, Angst um die Zukunft, Planen von Neuem und Alltag. Da werden das Sehnen nach dem Verweilen im fiktiven stadtzürcherischen Hochhaus, das Färben der Haare, andere Frauen, eine Geburstagsparty, das Umwerben der Damencoiffeuse, die so nichts vom Anbetenden wissen will, die Bestattung von Gerda, Erichs Leben in Rollen, die ihm behagen und die für den Alltagsmenschen leicht schräg daherkommen. Es ist das abstossende Gehabe des spiessigen Sohns bei Gerdas Abdankung, der konstant von teuren Ausgaben warnt. Es sind die Gespräche nach dem Tode, die durchaus stattfinden können.
Irgendwann scherbelt es aus dem Radio: «Die Sonne kommt wieder, doch ist es nie mehr, wie es war.» Vieles wird besungen, bleibt in den Gedanken haften.

Man hörte echt gerne zu, es war so kunstvoll Versponnenes, das es mit verdientem Beifall zu verdanken galt.