Eröffnungsrede von Landammann Röbi Marti

Zum sechsten Mal habe ich heute die angenehme Pflicht, Sie hier im Ring zur Landsgemeinde des Kantons Glarus zu begrüssen und willkommen zu heissen. Alljährlich seit 1387 versammeln sich die stimmberechtigten Glarnerinnen und Glarner, um die politischen Weichen zu stellen. Wir versammeln uns, um unter freiem Himmel zu raten, zu mindern und zu mehren und so als Gemeinschaft die direkteste Form der Demokratie zu praktizieren.



Landammann Röbi Marti bei seiner Eröffnungsrede der Landsgemeinde 2012. (Bild: jhuber)
Landammann Röbi Marti bei seiner Eröffnungsrede der Landsgemeinde 2012. (Bild: jhuber)

Wählen und mitbestimmen, sich informieren, mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen, sich letztlich eine Meinung zu bilden und diese auch kundzutun, das sind Attribute unserer direkten Demokratie. Der Landsgemeindering bietet dazu als besonderes Charakteristikum allen Mitlandleuten auch räumlich ein Forum: um zu sehen und gesehen, zu hören und gehört zu werden.

Kaum zu glauben, dass die Glarner Regierung vor 40 Jahren die Einführung des Frauenstimmrechts für die Landsgemeinde noch infrage stellte. Sie werden es nicht gerne hören, meine sehr verehrten Damen, aber 1971 standen Mutterschaft, Dienstpflichten in landwirtschaftlichen Betrieben, als Krankenschwestern oder als Servierpersonal und anderes dem Recht auf Mitbestimmung im Landsgemeindering entgegen. Es wurde argumentiert, ein grosser Prozentsatz der Frauen wäre wohl zum vornherein verhindert, die Gewährung der politischen Gleichberechtigung der Frauen im Ring damit ein blosses Schein-Recht. Ein Trugschluss: Diese Prophezeiung ist nie eingetreten. Frauen und Mannen stehen seit 40 Jahren im Ring ganz selbstverständlich nebeneinander und üben ihre demokratischen Mitspracherechte aus. Sie diskutieren und raten gleichermassen. Gut, dass sich die Stimmberechtigten im Ring 1971 durchgesetzt haben und dem zeitgemässen Wandel in der demokratischen Mitbestimmung zugestimmt haben. «Alle Mitlandleute» – erst zum 40. Mal seit 1972 schliesst dies die Frauen mit ein. Sie seien heute zu diesem Jubiläum besonders willkommen geheissen.

Vor fünf Jahren dann, an der Landsgemeinde 2007, nahm der Kanton Glarus sogar eine Vorreiterrolle für die Einbindung der Jungen in die politische Mitwirkung ein. Als erster Kanton gewährte er den Jugendlichen ab 16 Jahren das aktive Stimm- und Wahlrecht auf Kantons- und Gemeindeebene. Ein knapper Entscheid: Ich war damals als Landammann bei der Schätzung auf die Mithilfe der Regierungsmitglieder angewiesen. Rückblickend ist auch hier zu sagen: Die Mitlandleute haben gut entschieden. Sie haben anerkannt, dass die Jungen ihre Zunkunft mitbestimmen sollen, die Verantwortung mittragen können. Und sie tun dies auch: Es freut mich jedes Jahr, wenn junge Mitlandleute ans Rednerpult treten. Es braucht Mut, seine Meinung Ihnen allen kundzutun.

Nicht überall ist ein politischer und gesellschaftlicher Wandel ein Akt der Diskussion. Vielmehr hören, sehen und lesen wir in den Medien von gewaltsamen Umbrüchen. Weltweit begehren Menschen auf – für mehr Demokratie, für eine echte Demokratie. Eine Welle des Aufstands nahm letztes Jahr in Tunesien ihren Anfang, zog sich quer durch die arabische Welt und darüber hinaus. In Russland protestierten Bürgerinnen und Bürger für freie und faire Wahlen, zeigten ihre Enttäuschung und politische Frustration. Anderswo hingegen tragen Proteste erste Blüten: So öffnet sich beispielsweise Burma mit Zugeständnissen an die Oppositionsbewegung dem Weg zur Mitwirkung aller politischen Kräfte.

Vor diesem Hintergrund gebührt unserer Kultur der Selbst- und Mitbestimmung grosse Wertschätzung. Dem Recht der Mitbestimmung steht aber die Pflicht zur Übernahme der Verantwortung gegenüber. Diese Verantwortung dürfen Sie heute wahrnehmen: Ihre Stimme, sei es durch Handaufheben, sei es als Redner hier vorne, bewegt Gemeinschaftsentscheidungen.

Ich freue mich, dass Sie heute hier sind, um Ihre Mitbestimmungsrechte auszuüben, die direkte Demokratie zu leben – oder als Gast die Vorzüge dieser noch ursprünglichen Form der Mitbestimmung zu erleben.

Wenn Weichen gestellt werden, ist es unabdingbar, dass unterschiedliche Meinungen und Argumente vorgetragen werden und dass es bei Abstimmungen Gewinner und Verlierer gibt.

So danke ich Ihnen im Voraus dafür, wenn Sie in den anschliessenden Debatten bei aller Leidenschaft, die mit Themen verbunden sein können, die Regeln der Fairness beachten.

Vor allem aber richte ich an uns alle, die wir hier versammelt sind, den eindringlichen Appell, die heute fallenden Entscheide in Würde und demokratischem Respekt entgegenzunehmen und zu akzeptieren. Wie immer diese Entscheide lauten.

Die Möglichkeit als Gemeinschaft zu debattieren und zu entscheiden ist ein grosses Gut – unsere Landsgemeinde ist ein besonderer Wert, zu dem wir Sorge tragen müssen! Gelegentliche Neuerungen und Anpassungen an veränderte Zeiten sind aber nicht ausgeschlossen: So haben die Frauen, farbige Stimmzettel oder seit Kurzem ein Dach über dem Haupt des Landammanns in den Ring Einzug gehalten. Die Landsgemeinde ist keine Nostalgie, sondern moderne Tradition.

Das Glarnerland geht vorwärts, bleibt nicht stehen. Und schauen wir einmal zurück – so wie heute – stellen wir fest, dass wir Glarner schon so manchen Schritt getan haben: folgerichtige, heftig umstrittene, mutige und Aufsehen erregende. Vieles nahm seinen Anfang mit einem Entscheid der Landsgemeinde.

Hochvertraute liebe Mitlandleute

An der heutigen Landsgemeinde haben wir auch wichtige Ersatzwahlen für unsere kantonale Justiz vorzunehmen.

So hat Oberrichter Hermann Figi seinen Rücktritt per Ende Juni erklärt. Hermann Figi wurde 2006 ins Kantonsgericht gewählt. Seit 2008 gehörte er dem Obergericht an. Wir danken dem Zurücktretenden für seinen sechsjährigen Einsatz im Dienste der Zivil- und Strafrechtsrechtspflege.

Ebenfalls auf die heutige Landsgemeinde hat Verwaltungsrichterin Monika Beck ihre Demission eingereicht. Sie gehörte diesem Gerichtsstab seit 2006 an. Wir danken auch der scheidenden Verwaltungsrichterin für ihr sechsjähriges Wirken im Dienste der glarnerischen Rechtspflege.

Nach 8-jähriger Amtszeit hat Kantonsrichterin Andrea R. Trümpy ihren Rücktritt eingereicht. Andrea R. Trümpy wurde im Jahre 2004 ins Kantonsgericht gewählt. Sie gehörte vorerst der ersten, ab 2008 der zweiten Zivilkammer an. Auch ihr gilt heute der verdiente Dank des Landes für ihr achtjähriges engagiertes Wirken im Dienste der glarnerischen Rechtspflege.

In Dankbarkeit erinnern wir uns an den am 3. April 2012 im 86. Lebensjahr verstorbenen alt Landammann Martin Brunner. Nach 13 Jahren Mitgliedschaft im Landrat gehörte er von 1974 bis 1990 dem Regierungsrat als Departementsvorsteher des Innern an und amtete von 1982 bis 1986 als Landammann. Martin Brunner hat einen grossen Teil seiner Schaffenskraft in den Dienst von Land und Volk unseres Kantons gestellt. Wir wollen ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Mit dem heutigen Tag endet auch meine eigene zweite Amtszeit als Landammann. Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir auch in diesen zwei Jahren entgegengebracht haben. Ich habe versucht, es recht zu machen, und Sie haben mir dabei geholfen. Halten Sie das auch so mit meinem Nachfolger.

Lassen Sie uns jetzt raten, mindern und mehren in Freiheit und Verantwortung. Und so hoffen wir, dass es uns auch heute gelingt, die traktandierten Wahl- und Sachgeschäfte zum Nutzen und Gedeihen unseres Kantons zu treffen. In diesem Sinne stelle ich Land und Volk von Glarus unter den Machtschutz Gottes und erkläre die ordentliche Landsgemeinde 2012 als eröffnet.