Es war, als sässe Hannah Arendt mitten im Publikum

Im Rahmen von «Baeschlin littéraire» präsentierte Hildegard Keller vor zahlreichem Publikum in der Buchhandlung Baeschlin in Glarus ihren Debütroman «Was wir scheinen». Der im Februar letzten Jahres erschienene Roman über die Lebensreise der deutsch-jüdischen Publizistin Hannah Arendt und ihre Freundschaft mit der Welt ist ein Bestseller.



Es war, als sässe Hannah Arendt mitten im Publikum

Um es vorwegzunehmen: Die Begegnung mit Hildegard Keller letzte Woche in der Buchhandlung Baeschlin war für das überraschend zahlreich anwesende Publikum schlichtweg ein Erlebnis! «Was für eine tolle Frau», schwärmte Catherine Etter, Co-Filialleiterin beim Baeschlin Verlag und Organisatorin von «Baeschlin litteraire», im Anschluss an die Präsentation. Autorin Keller zuzuhören macht in der Tat richtig Spass. Als hervorragende Rezitatorin wusste sie ihr Glarner Publikum von der ersten bis zur letzten Zeile in ihren Bann zu ziehen. Dabei hätte man locker eine Nadel zu Boden fallen hören. Lebensnah und kenntnisreich schilderte die Autorin ihren eigenen Zugang zu Leben, Werk und Persönlichkeit von Hannah Arendt. Sie tat das mit grossem Respekt, Charme und viel Witz und gab auch Einblicke in ihre Schreibwerkstatt. Als es darum ging, wie man die Sechziger- und Siebzigerjahre der Schweiz rekonstruieren kann, gab es viel zu lachen. Eine Teilnehmerin an der Buchvernissage erklärte: «s’isch mr gsieh, als wär d’Hannah Arendt näbe mir uff em Stuehl ghogget». Dem ist nichts beizufügen!

Hannah Arendts Reise aus dem Schatten

Hannah Arendt (1906–1975) floh 1933 aus Nazideutschland. 1941 gelang ihr die Flucht in die USA, wo sie sich als politische Theoretikerin, Publizistin und Professorin etablieren konnte. Ihr Buch «Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen» stellte ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem 1961 vor dem Bezirksgericht Jerusalem geführten Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann dar. Das Buch warf hohe Wellen, sowohl der Bewunderung als auch der Entrüstung. Arendts persönliche Reaktion auf die Kontroverse blieb weitgehend im Schatten. Mit genau diesem Schatten setzt sich nun Hildegard Keller im Roman erstmals auseinander, indem sie ihre Hauptfigur noch einmal durchs Leben reisen lässt.

Im Sommer 1975 reist Hannah Arendt ein letztes Mal von New York in die Schweiz, genauer gesagt in das Tessiner Dorf Tegna. Von dort fliegen ihre Gedanken zurück nach Berlin und Paris, nach Marseille und die ersten Jahre in den USA, nach Jerusalem und Rom. Das Lesepublikum lehrt sie als Tochter, Geliebte und Ehefrau, als Professorin, leidenschaftliche Freundin, Witwe jetzt kennen, aber immer aus ihrer eigenen Perspektive. Für Hildegard Keller war der denkerische Unabhängigkeitsdrang, der Scharfsinn und Witz ebenso wichtig wie Hannah Arendts zarte Seiten, die Gedichte, die sie ganz für sich selbst behielt. Hildegard Kellers Erzählung von einer starken und gleichzeitig verletzlichen Frau, die ihre Freiheit über alles schätzte.

Biografie 

Hildegard E. Keller, bekannt aus dem Literaturclub SRF, sorgt für Überraschung mit ihrem Roman «Was wir scheinen». Von Haus aus ist sie Professorin für Literatur, war viele Jahre Literaturkritikerin im Fernsehen (ORF/3sat, SRF). Von 2008 bis 2017 arbeitete sie in Bloomington, USA, wo sie ihren ersten Film machte. Heute ist sie freie Autorin, lehrt an der Universität Zürich (zurichstories.org) und gibt Stadttouren (Kriminelles Zürich). Zurzeit läuft ihr zweiter Film «Brunngasse 8» im Kino. Am 18. Februar ist auf SRF2 die Radiosendung «Was wir sind und scheinen. Unterwegs mit Hannah Arendt» zu hören.

Lob der Presse

«Die große Stärke dieses zudem unterhaltsam geschriebenen Romans ist es, dass man Hannah Arendt beim Zweifeln, beim Begreifen (in Begriffen), beim Selberdenken in (inneren) Dialogen eng begleiten darf. So gelingt es der Autorin gut, den Leser und die Leserin mitten in dieses Denken hineinzuführen.» Jens Uthoff, TAZ